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von Cay Dobberke

Veröffentlicht am 20.12.2019

„wie im Wilden Westen“ fühlt sich Bezirksbaustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne), wenn er vom Abriss eines alten Kesselhauses erzählt. So eine „Dreistigkeit“ im Umgang mit einem Baudenkmal habe er noch nie erlebt. Die Betreiber des Berlinbiotechparks auf dem früheren Schering-Gelände an der Max-Dohrn-Straße ließen Bagger rollen, ohne das Bezirksamt zu informieren. Aber dieses schlägt zurück. Nach einer Strafanzeige wegen illegaler Altlastenentsorgung ermittelt das Berliner Landeskriminalamt und Schruoffeneger verlangt sogar den Wiederaufbau des Gebäudes.

Nur zufällig erfuhr die Bauaufsicht von dem laufenden Abriss, als sich das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) wegen Problemen mit chemischen Altlasten wie Asbest meldete. Die überraschten Bezirksbeamten entschlossen sich in dieser Woche zum Einsatz vor Ort, um nachzusehen und den Abriss zu stoppen. Sie wurden aber zunächst nicht auf das Gelände gelassen und konnten sich erst durchsetzen, als die alarmierte Polizei mit drei Mannschaftswagen vorfuhr.

Wie sich dann herausstellte, war das 1958 bis 1959 erbaute Kessel- und Turbinenhaus bereits zu etwa zwei Dritteln per Bagger abgetragen worden. Für die Reste sprach die Bauaufsicht ein sofortiges Abrissverbot aus. Doch nur einen Tag später habe ein Bauleiter der Eigentümerfirma mitgeteilt, die Ruine sei soeben eingestürzt, berichtet Stadtrat Schruoffeneger, „Ob da nachgeholfen wurde, können wir nicht sagen.“ So sieht es jedenfalls dort jetzt aus.

Bereits vorher hatte der Bezirk den Betreiber des Biotechparks zu einer Anhörung eingeladen. Daraufhin antwortete ein Anwalt im Namen des Unternehmens, man werde das Kesselhaus trotz des geltenden Denkmalschutzes abreißen, weil die Erhaltung unwirtschaftlich wäre.

Wie realistisch ist die Forderung nach einer Rekonstruktion? Schruoffeneger betont, es habe in Gerichtsverfahren um Baudenkmäler schon einige Urteile gegeben, in denen Bauherren dazu verpflichtet worden seien. Da früher teilweise andere Baumaterialien als heute verwendet wurden, könne ein Neubau dem Original nicht gleichen, aber ihm zumindest noch stark ähneln. Wahrscheinlich steht nun ein Rechtsstreit bevor. Der ungenehmigte Abriss eines Baudenkmals gilt als Ordnungswidrigkeit. In diesem Fall kommt allerdings noch die Strafanzeige wegen des unsachgemäßen Umgangs mit den Altlasten hinzu. Schruoffeneger geht noch weiter: Er will die gewerberechtliche „Zuverlässigkeit“ des Firmengeschäftsführers überprüfen lassen was im Extremfall zu einer Abberufung des Chefs führen könnte.

Die Industriegeschichte des Geländes in der Nachbarschaft des U- und S-Bahnhofs Jungfernheide reicht bis ins Jahr 1851 zurück. Schering stellte dort Flüssigarzneimittel her, verlagerte die Produktion aber 1999 in das Stammwerk in Wedding und behielt am alten Ort lediglich Verwaltungsbüros. Rundum entstand dort ab 2004 der Biotechpark. Dessen Webseite listet 17 Mieter auf, darunter das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sowie Pharma-Unternehmen und Spezialisten für Medizintechnik.

Kurz vor dem Redaktionsschluss für diesen Newsletter erreichte uns eine Stellungnahme der Biotechpark-Betreiber. Darin bedauert ein Sprecher den „nicht einvernehmlichen Abriss“. Das Unternehmen habe bereits ab dem Jahr 2003 im „überwiegend konstruktiven Austausch“ mit dem Denkmalamt gestanden. Man habe das Kesselhaus 2017 stillgelegt und ein Jahr später in Gesprächen mit dem Amt den Eindruck gewonnen, dass es den Abriss „positiv“ sehe. Daraufhin sei ein entsprechender Antrag gestellt worden, um Neubauten für weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Erst danach habe das Denkmalamt in einer „veränderten Einschätzung“ die Erhaltung verlangt. Durch „Kommunikationsprobleme“ sei es dann trotzdem zum ersten Teilabriss gekommen.

Abgesehen davon will die Betreiberfirma nicht gewusst haben, dass es sich um ein Einzeldenkmal handelt. In der Online-Denkmalliste des Bezirks sei kein entsprechender Eintrag zu finden gewesen, heißt es. „Auch in einer zusätzlich angefragten Auskunft an den Betreiber von 2014 wird das Kesselhaus vom Landesdenkmalamt lediglich als Teil des denkmalwürdigen Bereichs benannt – wiederum aber nicht als Einzeldenkmal.“ Diese Darstellung widerspricht allerdings einem Eintrag in der Datenbank der Berliner Stadtentwicklungsverwaltung.

Cay Dobberke, geboren in Berlin, wohnt seit mehr als 25 Jahren in Wilmersdorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an cay.dobberke@tagesspiegel.de