Intro

von Cay Dobberke

Veröffentlicht am 17.01.2020

zuerst die gute Nachricht für Anwohner rund um den Klausenerplatz: Das dortige Milieuschutzgebiet ist am vorigen Montag offiziell in Kraft getreten. Hauseigentümern wird es erschwert, Mieter durch Luxusmodernisierungen oder die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verdrängen. Doch im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen und den Forderungen tausender Bürger ist das „soziale Erhaltungsgebiet“ (so die amtliche Bezeichnung) stark geschrumpft. Über die Enttäuschung bei der MieterWerkStadt Charlottenburg und im Kiezbündnis Klausenerplatz haben wir schon einmal berichtet. In dieser Woche gab es im Rathaus Charlottenburg eine Einwohnerversammlung, die am Unverständnis vieler Mieter für die Argumente des Bezirksamts aber wenig änderte.

Anwohner des Amtsgerichtsplatzes sahen nicht ein, warum ihr Kiez kein Teil des Milieuschutzgebiets geworden ist. Das vom Bezirk beauftragte Gutachterbüro Landesweite Planungsgesellschaft (LPG) hatte ermittelt, dass auch dort ein erheblicher „Verdrängungsdruck“ herrscht. Dennoch rieten die Gutachter vom Milieuschutz ab. LPG-Geschäftsführer Roland Schröder sagte, entscheidend sei, ob Mieterhöhungen „eine Verdrängung oder nur ein Ärgernis“ darstellen. Rund um den Amtsgerichtsplatz lägen die Haushaltseinkommen außergewöhnlich hoch. Damit sei es vielen Anwohnern möglich, hohe Mieten zu bezahlen. Dem widersprachen Betroffene, die sich dem „Mittelstand“ zurechneten und von starken Veränderungen der sozialen Struktur durch Mieterwechsel berichteten. „Alle Gebiete haben das gleiche Verdrängungspotenzial“, fand beispielsweise der Anwohner Jürgen Hirschberger.

Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) solle prüfen lassen, ob die nicht berücksichtigten Gebiete später doch noch unter Schutz gestellt werden könnten, verlangten mehrere Redner. Sie erinnerten daran, dass das jetzige Gutachten unter Zeitdruck entstanden war, weil zwischen dem ursprünglichen „Aufstellungsbeschluss“ des Bezirksamts im Januar 2019 und dem Inkrafttreten des Milieuschutzes aus rechtlichen Gründen nicht mehr als ein Jahr vergehen durfte. Schruoffeneger machte den Bürgern keine Hoffnung auf eine Gebietsvergrößerung. Stattdessen hält er „ein paar weitere“ Erhaltungsgebiete andernorts im Bezirk für sinnvoll. Die Möglichkeiten würden derzeit in einem „Grobscreening“ geprüft.

Vertreter der MieterWerkStadt, die den Milieuschutz mit einer Unterschriftensammlung und einem Einwohnerantrag initiiert hatte, forderten Ersatzlösungen für die Mieter am Amtsgerichtsplatz und in einem Wohngebiet nördlich der Schloßstraße, das ebenfalls außen vor geblieben ist. Nach dem Aufstellungsbeschluss hatte in beiden Gegenden ein vorläufiger Schutz gegolten, der nun entfällt.

Außerdem entbrannte ein Gutachterstreit. Aus dem Publikum meldete sich Bernd Greve von der Arbeitsgruppe Gemeinwesenarbeit und Stadtteilplanung (argus) zu Wort, die für den Bezirk schon vor etwa drei Jahren den Milieuschutz geprüft hatte. Greve bekräftigte seine damalige Einschätzung, dass ein Gebiet nur am Klausenerplatz sinnlos sei, weil die meisten Häuser der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Gewobag gehörten. „Ich kenne kein Milieuschutzgebiet mit einem so hohen Anteil städtischer Wohnungen.“ Zudem seien etwa 80 Prozent der Gebäude nahe dem Platz bereits „durchgreifend modernisiert“. Also bestehe hier nur eine relativ geringe Verdrängungsgefahr. Eine Ausweitung des Gebiets sei die „einzige Möglichkeit“, um den Milieuschutz rechtssicher zu machen. In der jetzigen Form werde „diese Satzung keinen Bestand haben“, falls jemand dagegen klage.

Einige Bürger kritisierten, die Versammlung komme zu spät. Man werde nur noch „vor vollendete Tatsachen gestellt“. Stadtrat Schruoffeneger erwiderte, ohne die erst seit Kurzem vorliegende LPG-Studie hätte ein Informationsabend nichts gebracht. Die Gutachter zeigten eine Zusammenfassung mit vielen Zahlen. Diese Präsentation wurde mittlerweile auch auf der Webseite des Bezirks veröffentlicht.

Cay Dobberke, geboren in Berlin, wohnt seit mehr als 25 Jahren in Wilmersdorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an cay.dobberke@tagesspiegel.de