Intro

von Cay Dobberke

Veröffentlicht am 29.05.2020

Berlin lockert viele Einschränkungen des Alltagslebens. Ab dem 2. Juni werden Open-Air-Veranstaltungen mit bis zu 200 Besuchern erlaubt, auch Fitnessstudios und Kneipen dürfen öffnen – wenn auch unter strengen Auflagen. Private Treffen sind mit bis zu 50 Teilnehmern möglich, wenn „zwingende Gründe“ vorliegen. Damit sind beispielsweise Hochzeiten, Trauerfeiern oder Taufen gemeint. Für die Größe von Demonstrationen gilt keine Obergrenze mehr. Mehr über diese und andere Änderungen, die der Senat am Donnerstagabend beschlossen hat, können Sie auf tagesspiegel.de lesen. Die 1,50-Meter-Abstandsregel gilt weiter.

Auch die Bezirksverordneten gaben sich in ihrer gestrigen Sitzung alle Mühe, Abstand zu wahren und mögliche Infektionen mit dem Coronavirus zu vermeiden. Statt im BVV-Saal des Rathauses Charlottenburg tagten sie in einer größeren Sporthalle. Die Verordneten saßen nicht nur weit auseinander, sondern wurden von BVV-Vorsteherin Annegret Hansen (SPD) auch darum gebeten, bei ihren Reden kleine Plastiktüten über das Saalmikrofon zu stülpen. Das führte zu komischen Szenen, in denen Hansen die Rolle der Tütenverteilerin einnahm und Sprecher mit wechselndem Erfolg probierten, den Lärm zu verringern, den das Mikrofon jedes Mal beim Befestigen und Abnehmen der Umhüllungen verursachte.

Viel Streit gab es um die Gastronomie im Bezirk. Die Grünen-Fraktion forderte, Stühle und Tische „am Fahrbahnrand“ von Straßen zu genehmigen, falls ein Gehweg zu schmal für die Bewirtung im Freien ist. Dies habe man schon vor Jahren vorgeschlagen, sagte Fraktionschef Christoph Wapler. „Es ist vernünftiger, als den Raum für Fußgänger einzuengen.“ Die Linksfraktion trat dem Antrag bei, der trotzdem keine Mehrheit fand. Vor allem Ordnungsstadtrat Arne Herz und der Wirtschaftspolitiker Simon Hertel (beide CDU) warnten vor der Gefahr, dass Lokalgäste am Straßenrand von Autos angefahren werden könnten.

Herz wehrte sich außerdem gegen Waplers Vorwurf, das Bezirksamt benachteilige Passanten und vor allem Rollstuhlfahrer oder Eltern mit Kinderwagen. Vor ein paar Tagen hatte die Verwaltung beschlossen, dass Wirte die Gehwege nur noch auf einer Breite von 1,80 statt zwei Metern freihalten müssen. 1,80 Meter sei das übliche Maß in Berlin, betonte der Stadtrat. Jetzt habe man lediglich den „Sicherheitszuschlag“ von 20 Zentimetern gestrichen, den der Bezirk bisher wegen seiner Innenstadtlage und vieler schmaler Wohnstraßen angeordnet hatte. Die Grünen ärgerten sich über die fehlende Beteiligung der BVV. Damit habe man den Gastronomen schnellstmöglichst helfen wollen, erwiderte Herz. Bis zum Jahresende verzichtet der Bezirk auch auf Gebühren für die „Sondernutzung öffentlichen Straßenlands“.

Die Tauentzienstraße soll probeweise zur Fußgängerzone werden. Dieser Antrag stammte – für manche überraschend – von der FDP-Fraktion und wurde mit großer Mehrheit beschlossen. Das Pilotprojekt soll durch ein wissenschaftliches Gutachten begleitet werden und in einem „ausgewählten Zeitraum“ stattfinden. Die FDP regt an, im Advent den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in die Straße auszuweiten. Auch die Sommerferien kämen als Testphase infrage (allerdings nicht mehr in diesem Jahr).

Eine „Kommunalisierung“ der Siedlung Westend verlangte die Linksfraktion. Ihr Antrag wurde mit der rot-grün-roten Mehrheit angenommen. Das Bezirksamt soll die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen bitten, mit dem Eigentümerkonzern Deutsche Wohnen zu verhandeln. Nach einem Ankauf „zum Verkehrswert“ könne die frühere britische Soldatensiedlung aus den 1950-er Jahren einem städtischen Wohnungsunternehmen übertragen werden. Wie berichtet, ist seit Monaten nichts mehr von einem Bauprojekt der Deutsche Wohnen zu hören. Vor sechs Jahren hatte das Unternehmen angekündigt, es wolle die 212 Wohnungen am Dickens-, Scott- und Swiftweg nahe dem Olympiastadion durch 580 neue Mietwohnungen ersetzen.

Zur Diskussion um die Pop-up-Radspur in der Kantstraße finden Sie weiter unten in unserer Rubrik „Namen & Neues“ einen separaten Bericht. Wegen der Coronakrise wurde Sitzung nach gut dreieinhalb Stunden inklusive einer Pause beendet, normalerweise hätte sie rund eineinhalb Stunden länger dauern können. Da einige Themen nicht mehr zur Sprache kamen, folgt am 11. Juni eine Sonder-BVV.

Cay Dobberke, geboren in Berlin, wohnt seit mehr als 25 Jahren in Wilmersdorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an cay.dobberke@tagesspiegel.de