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von Cay Dobberke
Veröffentlicht am 21.08.2020
für mehr Milieuschutzgebiete demonstrierten in dieser Woche etwa 100 Mieter – und auch Bezirkspolitiker befassten sich mit dem Thema. Allerdings ging es im BVV-Stadtentwicklungsausschuss um andere mögliche „soziale Erhaltungsgebiete“ (so die amtliche Bezeichnung).
Die Teilnehmer der Kundgebung forderten, den seit Jahresbeginn geltenden Schutz um den Klausenerplatz auf den Amtsgerichtsplatz und die Schloßstraße auszudehnen. Im Ausschuss erklärten Gutachter dagegen, warum sie nur zwischen der Straße Alt-Lietzow, dem Richard-Wagner-Platz und dem Karl-August-Platz „vertiefende Untersuchungen“ empfehlen.
Vor mehr als drei Jahren hatte die MieterWerkStadt Charlottenburg 1500 Unterschriften für einen Einwohnerantrag gesammelt und ein großes Milieuschutzgebiet um den Klausenerplatz verlangt. Zur Enttäuschung vieler Anwohner schrumpfte es am Ende deutlich – obwohl das Büro Landesweite Planungsgesellschaft (LPG) in einem „Grobscreening“ für das Bezirksamt auch dem Kiez am Amtsgerichtsplatz einen hohen „Verdrängungsdruck“ bescheinigt.
Trotzdem wurde dieser, wie auch die Schloßstraße, nur als „Beobachtungsgebiet“ eingestuft. Demnach soll die Situation in zwei Jahren nochmal geprüft werden. Zur Begründung heißt es, die durchschnittlichen Einkommen seien so hoch, dass viele Haushalte hohe Mieten zahlen könnten. Dabei stützen sich die Gutachter auf schriftliche Befragungen und amtliche Statistiken. Ganz anders stellten Betroffene ihre Lage bei der Demo dar: Bei weiteren Mieterhöhungen müssten sie wegziehen.
Unerfüllt bleibt vorerst auch der Wunsch der Bürgerinitiative Fasanenplatz, Wilmersdorfer Anwohner besser vor Luxusmodernisierungen oder der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu schützen. Gemäß dem Gutachten soll die Entwicklung in drei Quartieren nur „beobachtet“ werden. Alle Ergebnisse können Sie hier lesen.
SPD, Grüne und Linke deuten die Studie anders. In einem Antrag für die BVV am 27. August fordern die Fraktionen das Bezirksamt auf, „schnellstmöglich“ einen Aufstellungsbeschluss für den Amtsgerichtsplatz und die Schloßstraße zu fassen. Innerhalb eines Jahres solle eine „Vorlage zur Beschlussfassung“ für dortigen Milieuschutz folgen, bis dahin müsse eine Veränderungssperre gelten. Beide Gegenden „weisen ein so wesentliches Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial auf, dass sie eigentlich schon in der Erhaltungsverordnung ,Klausenerplatz‘ einbezogen sein müssten“, heißt es. Das Bauamt dürfe „nicht abwarten, bis es Verdrängung nachweisen kann“.
Zusätzlich sprechen sich die SPD und Linken für „umgehende“ Haushaltsbefragungen in den drei Wilmersdorfer Kiezen aus. Auch dort gelte, dass Milieuschutz die Wohnbevölkerung erhalten und „nicht erst bei schon begonnener Verdrängung etwas ,retten‘ soll“.
Es gehe um baurechtliche Fragen, betonen Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) und die Gutachter. Würden Milieuschutzgebiete ohne ausreichende Nachweise des Bedarfs geschaffen, könnten Hauseigentümer dagegen vorgehen. In Schöneberg gibt es laut Schruoffeneger schon Normenkontrollklagen. Würden Erhaltungsgebiete gerichtlich gekippt, könnte dies weitreichende Folgen für ganz Berlin haben. Nach Ansicht des Stadtrats ist es „Blödsinn“, dass der Gesetzgeber die eigentlich nötigen „politischen Entscheidungen“ durch hohe juristische Hürden erschwere.
Derzeit laufen schriftliche Haushaltsbefragungen in vier Kiezen. Anwohner im Planungsraum Alt-Lietzow / Karl-August-Platz, der laut dem Gutachten als Schutzgebiet infrage kommt, werden um Auskünfte gebeten. In den bestehenden Milieuschutzgebieten am Gierkeplatz und auf der Mierendorff-Insel will das Bezirksamt außerdem prüfen, ob die „rechtlichen Voraussetzungen weiterhin vorliegen“.
Aber auch rund um die Jungfernheide erhalten die Bürger jetzt Post. Dieser Teil von Charlottenburg-Nord mit der Paul-Hertz-Siedlung gilt als sozialer Brennpunkt. Die Haushaltseinkommen sind durchschnittlich gering. Bisher wurde daraus nur ein „Beobachtungsgebiet“. Doch laut Wiebke Köker vom Büro LPG ist der Aufstieg zum „Verdachtsgebiet“ denkbar. Anders gesagt: Die Chance, dass es zum Milieuschutz kommt, ist auch dort vergleichsweise groß.
Cay Dobberke, geboren in Berlin, wohnt seit mehr als 25 Jahren in Wilmersdorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an cay.dobberke@tagesspiegel.de