Kiezkamera
Veröffentlicht am 10.09.2021 von Cay Dobberke

Mit eleganter Mode, dem legendären Kultur- und Nachtleben und „mutigen, unabhängigen Frauen“ seien die 1920-er Jahre in Berlin eine spannende Zeit gewesen, findet Nicola Kothlow. Seit 2018 bietet sie szenische Stadtführungen durch den Berliner Westen an und schlüpft dafür in die Rolle einstiger Künstlerinnen. Ihre dazu passende Schauspielausbildung hatte die gebürtige Wilmersdorferin am renommierten Studio von Hanny Herter absolviert.
Unser Bild zeigt Nicola Kothlow als Mascha Kaléko am Charlottenburger Savignyplatz. Ganz in der Nähe, an der Bleibtreustraße 10/11, hatte die jüdische Dichterin von 1936 bis 1938 gewohnt, bis sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach New York emigrierte. Ihre Bücher waren von den Nazis verboten worden. Ab 1966 lebte Kaléko in Jerusalem und Zürich. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1975 dachte sie über eine Zweitwohnung in Berlin nach.
Dieses Heimweh kenne auch sie, sagt Kothlow, und sieht darin eine Verbindung. Früher arbeitete sie als freiberufliche Reiseleiterin in Griechenland, Italien und Spanien für ein Touristikunternehmen. „Eigentlich bin ich ein Sonnenmensch.“ Trotzdem kehrte sie nach wenigen Jahren in ihre Geburtsstadt zurück.
Unter dem Motto „Ein Koffer voll Sehnsucht!“ startet die nächste Kantstraßen-Tour an diesem Sonntag, dem 12. September, um 12 Uhr vor dem Delphi Filmpalast an der Kantstraße 12a. Bei dieser rund zweistündigen Zeitreise in die 1920-er bis 1930-er Jahre wird Nicola Kothlow die Lebensgeschichte von Mascha Kaléko schildern, aus deren „ironisch-spritzigen“ und „melancholischen“ Gedichten lesen und die Gegend auch aus dem Blickwinkel der Künstlerin erklären. Kaléko habe „den Zeitgeist toll erfasst“ und „Alltagssorgen der Menschen“ thematisiert, sagt Nicola Kothlow. Die Gedichte seien sogar „auf Heute übertragbar“.
Zu den Themen der Tour gehören der Delphi Tanzpalast im heutigen Kino, das einstige Nachbarhaus der Künstlergruppe „Berliner Secession“, das frühere Kabarett „Wilde Bühne“ im Souterrain des Theaters des Westens, das Künstlerhaus St. Lukas an der Fasanenstraße und der Savignyplatz. Historische Fotos und Texte hat Nicola Kothlow immer in ihrer Aktentasche dabei.
Ihre verschiedenen Führungen stellt sie online vor (nicola-kothlow.de) Die Teilnahme kostet 15 Euro, Anmeldungen sind per E-Mail an info@nicola-kothlow.de möglich. Am 3. Oktober findet die Kantstraßen-Tour erneut statt. Und bereits am 18. September ab 14 Uhr ist Kothlow rund um den Kurfürstendamm unterwegs – diesmal als die Lyrikerin Else Lasker-Schüler, die sie auch schon vor zehn Jahren im Rahmen der Veranstaltungen zum 125. Ku’damm-Jubiläum verkörpert hatte.
Bei „Anita-Berber-Touren“, die am 19. September und 17. Oktober am Schöneberger Nollendorfplatz beginnen, spielt sie die berühmt-berüchtigte Tänzerin und Schauspielerin. Bis zur Corona-Pandemie kam es vor, dass Nicola Kothlow einzelne Teilnehmer:innen dieser Führungen zum kleinen gemeinsamen Tänzchen einlud. Wegen der Hygieneregeln ist das nun nicht mehr möglich. Als Mascha Kaléko gibt sich Kothlow grundsätzlich zurückhaltender, um der Rolle einer Dichterin zu entsprechen.
Normalerweise bietet Nicola Kothlow elf szenische Führungen pro Jahr an, durch die Corona-Lockdowns waren es zuletzt weniger. Die 50-Jährige ist auch ausgebildete Pädagogin. In ihrem zweiten Beruf veranstaltet sie Theaterprojekte mit Kindern, die zum Teil aus Flüchtlingsfamilien stammen, und engagiert sich als „Expertin für Sprachentwicklung“. Nicola Kothlow wohnt im Kiez am Klausenerplatz, wo sie besonders die „Beschaulichkeit“ schätzt.
- Foto: Sven Darmer / DAVIDS
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