Kiezkamera

Veröffentlicht am 25.03.2022 von Cay Dobberke

So scharfe Kritik an einem Vermieter hört man selten aus dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Die aus den Jahren 1923 bis 1924 stammenden Häuser am Hohenzollerndamm 38 und 39 seien „ein besonders krasser Fall der Entmietung durch systematische Verwahrlosung“, die „leider in unserem Bezirk um sich greift“, sagte Baustadtrat Fabian Schmitz-Grethlein (SPD) in der jüngsten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung.

Der Eigentümer zeige „kein Interesse an der ganzheitlichen Instandsetzung“ und wolle die „verbliebenen Mietparteien loswerden“.

Hier die Vorgeschichte. Nach Angaben der bezirklichen Bauaufsicht wurde sie im Sommer 2021 von der damaligen schwedischen Eigentümerfirma Akelius über eine „erhebliche Beeinträchtigung der Statik“ informiert. Am 1. Dezember erwirbt das ebenfalls schwedische Unternehmen Heimstaden die beiden Altbauten als Teil eines großen Immobilienpakets. Am 10. Dezember schreibt ein Firmenanwalt der Bauaufsicht, es bestehe „akute Einsturzgefahr“. Das Amt solle eine „sofortige Nutzungsuntersagung“ anordnen, also die Mieterinnen und Mieter zur Räumung ihrer Wohnungen auffordern.

Doch bei mehreren Kontrollen des Gebäudezustands stellen Mitarbeitende der Bauaufsicht und ein Statiker keine unmittelbaren Gefahren fest. Stattdessen finden sie heraus, dass aus mehreren leer stehenden Wohnungen „tragende sowie nichttragende Trennwände der Wohnungen entfernt“ und „Dielen inklusive der Schüttung“ entfernt wurden. Andererseits soll es auch eine „statische Ertüchtigung“ gegeben haben. Alle Arbeiten seien jedoch ohne Kenntnis der Bauaufsicht und „ohne einen statischen Nachweis“ ausgeführt worden, sagte Stadtrat Schmitz-Grethlein.

Bei einem Gespräch mit der Leiterin des Stadtentwicklungsamts hätten sich Geschäftsführende des Immobilienkonzerns „wenig lösungsorientiert“ gezeigt, berichtete er in der BVV. Erst als das Amt angedroht habe, die nachträgliche Vorlage der nötigen Unterlagen anzuordnen, sei „zum Jahresbeginn ein Antrag für die genehmigungspflichtigen statischen Sicherungsmaßnahmen eingereicht“ worden.

Unterdessen kam es zu einem mysteriösen Wasserschaden. Laut Schmitz-Grethlein hatte jemand im Dezember in einer leer stehenden Wohnung in der ersten Etage „den Haupthahn aufgedreht“. Stundenlang tropfte es in Räume darunter, die noch vermietet sind. Bis heute seien die Schäden „nicht bzw. nur unzureichend behoben“ worden, kritisiert der Stadtrat.

Dies bestätigt auch die Berliner Mietrechtsanwältin Franziska Dams, die einen betroffenen Haushalt vertritt. Sie wundert sich über die Probleme, weil Heimstaden ihr zuvor „nicht negativ aufgefallen“ war.

Beim Bezirksamt beantragte das Unternehmen inzwischen, den Leerstand mehrerer Wohnungen gemäß der Zweckentfremdungsverordnung zu genehmigen. Der zeitliche Zusammenhang mit der Behauptung, dass die Häuser nicht mehr standsicher seien, „spricht Bände“, findet der zuständige Stadtrat Arne Herz (CDU). Im Haus am Hohenzollerndamm 38 gibt es sechs Wohnungen, von denen derzeit zwei bewohnt sind. Im Nachbargebäude am Hohenzollerndamm 39 ist noch die Hälfte der acht Wohnungen belegt.

Allen Hausbewohner:innen seien Ersatzwohnungen angeboten worden, heißt es von Heimstaden. Zwei Mieter seien bereits andernorts untergebracht worden.

Das Unternehmen weist die Vorwürfe des Amts zurück. „Es geht und ging stets um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner“, sagt Heimstaden-Sprecher Michael Lippitsch. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel bestritt er auch, dass ein Abriss angestrebt werde. Es könne allerdings dazu kommen, falls sich die Schäden nicht mit vertretbarem Aufwand beheben lassen.

Vor allem betont Lippitsch, dass die meisten angeprangerten Vorgänge sich auf die Zeit bezögen, bevor Heimstaden die Immobilien erwarb. Der Voreigentümer Akelius habe „in vier Wohneinheiten nichttragende Trennwände entfernt“ und „Pläne zur Erweiterung von Wohnraum“ verfolgt. „Wenn hier in der Vergangenheit Fehler passiert sind, werden wir unseren Verpflichtungen als Rechtsnachfolger natürlich nachkommen.“

Am 3. Dezember, zwei Tage nach dem Eigentümerwechsel, erhielt Heimstaden nach Auskunft des Sprechers ein Gutachten eines Ingenieurbüros. Demnach „ist die Standsicherheit nicht mehr ausreichend gewährleistet“. Dazu hätten Materialschäden und Schädlingsbefall, aber auch „Besonderheiten der Bauweise“ und eine „teilweise nicht fachgerechte Bauausführung zur Entstehungszeit“ geführt.

Es gebe einen Unterschied zwischen der attestierten „fehlenden Standsicherheit“ und der von Heimstaden behaupteten „akuten Einsturzgefahr“, räumt Lippitsch ein. Man habe wenig Zeit zur Sichtung aller Dokumente gehabt und „sicherlich im Dezember letzten Jahres einen Lernprozess durchlaufen“.

Nach wie vor befürchte Heimstaden aber, dass beispielsweise starke Winde oder Vibrationen von einer benachbarten Baustelle „sehr kurzfristig“ zu akuter Einsturzgefahr führen könnten und dann „für eine geordnete Evakuierung möglicherweise keine Zeit mehr bliebe“, sagt der Sprecher.

Die Kritik daran, dass Böden entfernt wurden, geht nach seiner Darstellung „völlig ins Leere“. Tatsächlich habe der Gutachter die Maßnahme empfohlen, damit statisch „weniger Beanspruchungen aus Eigenlasten auftreten“.

Lippitsch ärgert sich über Stadtrat Schmitz-Grethlein. Leider entstehe der Eindruck, dass im Bezirksamt „der Wunsch stärker ausgeprägt ist, ein privates Wohnungsunternehmen in ein schlechtes Licht zu rücken, als sich mit Themen der Gebäudesicherheit und dem Schutz der Bewohner ernsthaft zu beschäftigen“.

In der BVV hat Heimstaden zurzeit aber auch keine Fürsprecher:innen. Der FDP-Stadtentwicklungspolitiker Johannes Heyne bittet das Bauamt sogar, „strafrechtliche Schritte zu prüfen“, falls erkennbar sei, dass die Häuser mutwillig beschädigt wurden.

Und wie geht es weiter? Stadtrat Herz lässt aktuell noch die Leerstandsanträge prüfen. Außerdem wurde Heimstaden nach eigenen Angaben von der Bauaufsicht aufgefordert, „einen weiteren unabhängigen Gutachter“ zu beauftragen.

Mehr über Heimstadens Aktivitäten in Berlin können Sie in diesem Hintergrundbericht lesen. Der Text erschien vor rund einem Jahr im Rahmen des Projekts „Wem gehört die Stadt“, das der Tagesspiegel bereits 2018 gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv gestartet hat.

  • Foto: Cay Dobberke
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