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Ärger um BVV-Fragestunde: Bürger erhalten keine schriftlichen Antworten mehr

Veröffentlicht am 04.09.2020 von Cay Dobberke

Nur noch Bürger, die an Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) teilnehmen, erhalten Antworten auf ihre vorab schriftlich eingereichten Fragen. Darauf hat sich der Geschäftsordnungsausschuss der BVV mehrheitlich verständigt. Bis dahin war es üblich, dass Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) und die Stadträte schriftliche Antworten nachreichen, wenn ein Fragesteller nicht anwesend ist.

Jetzt wird alles mündlich beantwortet – mit einer Ausnahme: Falls die Zeit in der 30-minütigen Einwohnerfragestunde nicht mehr für alle geplanten Themen reicht, bleibt es bei der Schriftform.

Der Streit reicht bis Anfang dieses Jahres zurück (wir berichteten). Damals schrieb Bürgermeister Naumann an BVV-Vorsteherin Annegret Hansen, die „neuerdings als selbstverständlich vorausgesetzte“ Schriftform entspreche nicht „der im Bezirksverwaltungsgesetz verankerten Intention der unmittelbaren Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“. Es entstehe ein „Parallelinstrument“ zur bestehenden Möglichkeit, sich direkt an die Verwaltung und die Stadträte zu wenden.

Die Linksfraktion protestiert gegen die „skandalöse Einschränkung“ der Bürgerrechte. Der Anspruch auf schriftliche Antworten stehe in der BVV-Geschäftsordnung, sagt Frederike-Sophie Gronde-Brunner, die dem zuständigen Ausschuss angehört. Es gebe auch keinen neuen BVV-Beschluss. Fraktionsvertreter der SPD, CDU, Grünen und FDP hätten sich nur informell mit dem Bezirksamt geeinigt.

Benachteiligt würden Menschen, die „arbeiten, Familienangehörige versorgen oder krank zu Hause bleiben müssen“, fügte die Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Annetta Juckel, hinzu. Die Pflicht zum persönlichen Erscheinen sei „angesichts der digitalen Möglichkeiten unserer Zeit rückschrittlich und während einer Pandemie schlicht zynisch“.

FDP-Fraktionschef Felix Recke leitet den Geschäftsordnungsausschuss und ist ebenfalls „enttäuscht darüber, dass unser bisheriges Prozedere vom Bezirksamt nicht weiter mitgetragen wird“. Die BVV könne die Verwaltung „aber nicht zur schriftlichen Beantwortung zwingen“. Diese berufe sich auf das Bezirksverwaltungsgesetz, das als Landesrecht „über unserer Geschäftsordnung steht“. Das Gesetz erwähne nur eine Pflicht der Bezirksämter, in Einwohnerfragestunden Stellung zu beziehen.

Daher sei es zu einem Kompromiss gekommen, sagt Recke. Im Dezember werde die neue Methode „gemeinsam mit uns evaluiert“. Außerdem habe das Bezirksamt zugesagt, nach wie vor alle Anfragen zu beantworten, die direkt in den Büros der Stadträte eingehen. Laut Recke wurde diese Einigung „im Ausschuss auch von den Linken mitgetragen“. Daher sei es „unehrlich, sich jetzt zum Ritter der entrechteten Bürger aufzuschwingen“.

Aus der AfD-Fraktion heißt es, man habe mehrmals vorgeschlagen, monatlich zwei BVV-Sitzungen abzuhalten. In einer davon könnten Bürger dann bis zu zwei Stunden lang Fragen stellen. „Keine andere Fraktion ist uns hier gefolgt“, sagt der AfD-Vertreter im Geschäftsordnungsausschuss, Jan von Ertzdorff-Kupffer.

In der Praxis stammen die meisten Fragen regelmäßig von denselben Einwohnern, die teilweise Bürgerinitiativen vertreten. Am heutigen Freitagabend will ein Zusammenschluss bezirklicher Initiativen über Reaktionen beraten.

Ähnlich wie die Linken sieht es Heinz Murken von der Wählervereinigung Aktive Bürger Berlin. Wer keine Zeit habe, weil beim Beginn der Fragestunde um 17 Uhr „der Arbeitsplatz noch wichtig ist“, habe nun „Pech“. Dasselbe gelte für „Eltern, die ihre Kinder nicht unterbringen können“ und für kranke oder stark behinderte Menschen. Joachim Neu von der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz, der auch für andere Initiativen spricht, sieht in Schreiben an die Verwaltung außerhalb der BVV keinen geeigneten Ersatz, weil die Stadträte dabei selbst bestimmen könnten, ob und wann sie antworten. Außerdem müsse der Schriftwechsel dann nicht veröffentlicht werden.