Namen & Neues
Wie die Kinos der Coronakrise trotzen
Veröffentlicht am 11.09.2020 von Cay Dobberke
Derzeit haben Berlins Kinobetreiber die Qual der Wahl. Nach der jüngsten Senatsverordnung zum Schutz vor dem Coronavirus sollen sie entweder einen Abstand von 1,50 Metern zwischen den Besuchern gewährleisten, die dann während der Vorstellungen auf eine Schutzmaske verzichten können, oder sie dürfen den Abstand auf einen Meter reduzieren – aber mit Maskenpflicht. In Charlottenburg-Wilmersdorf haben sich die meisten Kinos für die erste Lösung entschieden, wie uns deren Leiter(innen) sagten.
Nicht nur Jasper Jacobs vom Filmkunst 66 in der Bleibtreustraße befürchtet nämlich, dass „noch weniger Leute kommen“ würden, wenn sie eineinhalb oder zwei Stunden lang eine Maske aufsetzen müssten. Allgemein vorgeschrieben ist der Mund- und Nasenschutz nur auf dem Weg in die Kinosäle oder bei Toilettenbesuchen. 1,50 Mindestabstand bedeuten in der Praxis, dass jede zweite Reihe frei bleibt und innerhalb einer Reihe jeder zweite Sitz. Die Kapazität sinkt also in der Regel auf ein Viertel. Gewisse Abweichungen sind möglich. Wenn beispielsweise eine Familie zusammen ins Kino geht, muss der Abstand untereinander nicht eingehalten werden. Auf der anderen Seite führen bauliche Gegebenheiten mitunter dazu, dass weniger als 25 Prozent der Plätze übrig bleiben.
Für das Filmkunst 66 hat Jacobs am Computer „extra einen neuen Bestuhlungsplan entworfen“, für den allerdings nichts umgebaut wurde. In den großen Saal mit 156 Sitzen passen jetzt bis zu 50 Gäste, im kleinen Saal stehen noch 18 der 50 Plätze zur Verfügung. „Rentabel ist der Betrieb unter den aktuellen Bedingungen natürlich nicht“, sagt Jacobs. Als „ganz wichtigen Schritt“ wünscht er sich , dass die Maskenpflicht auch bei einem Abstand nur von einem Meter entfallen sollte. „Sonst wird es extrem schwierig.“ Während des heißen Sommerwetters im August konnte er manchmal „die Gäste in einer Vorstellung an einer Hand abzählen“. Derzeit laufe es im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten vor allem an Wochenenden deutlich besser. Dann sei der kleine Saal gelegentlich ausgebucht und der große „fast voll“. Jacobs leitet das Programmkino im Auftrag von Regina Ziegler und ihrer Tochter Tanja Ziegler, die beiden Filmproduzentinnen hatten es vor neun Jahren übernommen.
Am Rande des Stuttgarter Platzes feierte das Klick im Juli seine Wiedereröffnung nach einer zweijährigen Pause wegen eines Vermieterwechels. Jetzt wird das kleine Arthouse-Kino in der Windscheidstraße von einem vierköpfigen Team geführt, zu dem die Schauspielerin Martina Klier gehört. Zurzeit biete man meistens rund ein Viertel der 83 Plätze an, sagt sie. Nur bei „sehr stark angefragten Veranstaltungen“ würden vereinzelt bis zu 40 Zuschauer „mit einem Meter Abstand und Maskenpflicht während des gesamten Aufenthaltes“ hinein gelassen.
Lohnt sich der Betrieb überhaupt? „Wir stellen uns diese Frage nicht“, antwortet Martina Klier. Das Klick sei ein „Herzensprojekt, das wir auch als kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag sehen“. Außerdem habe sich das Kino zu einem „Teil der Kiezgemeinschaft“ entwickelt. Besonders gut angenommen würden die vielen Filmgespräche mit Schauspielern und Regisseuren.
An Filmen mangelt es den Programmkinos nicht. Viele Arthouse-Produktionen „sind im Februar und März gestartet und hatten kaum eine Chance, gesehen zu werden“, sagt Klier. „Einige davon verdienen nun eine zweite Chance.“ Jede Woche gebe es bis zu zehn Filmstarts. Große Kinos, die „auf Mainstreamfilme angewiesen sind“, hätten mehr Probleme. „Wenn man das Ganze optimistisch sehen will, würde ich sagen, dass viele kleinere Produktionen durch die Folgen der Coronakrise eine Art ,Wertsteigerung’ für die Kinolandschaft erfahren könnten.“
Zu den Branchengrößen gehört Hans-Joachim Flebbe. Er betreibt den Zoo-Palast, die Astor Film Lounge am Kurfürstendamm und acht Kinos in anderen Städten. Seine zwei Berliner Häuser öffnete er erst am 12. August wieder, als der Blockbuster „Tenet“ von Christopher Nolan in Deutschland startete. Bei diesem Film habe der Zoo Palast bundesweit die dritthöchsten Besucherzahlen erreicht, freut sich Flebbe. Dass „Tenet“ hier nicht digital, sondern als analoger Film im 70-Millimeter-Breitwandformat gezeigt werde, „ist für Fans ein Argument“. Flebbe setzt in seinen Kinos auf einen Mindestabstand von einem Meter zwischen den Besuchern, die Masken tragen müssen. Für diese Möglichkeit, die es nur in wenigen Bundesländern gibt, dankt er den „verständnisvollen Politikern in Berlin“.
Zugleich sieht sich der Unternehmer aber „mit allen Betreibern einig“ darin, dass die Maskenpflicht auch bei nur einem Meter Abstand unnötig und ihre Aufhebung „für die ganze Branche überlebenswichtig“ sei. Seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie „gab es nicht einen Infektionsfall in Kinos“. Diese besäßen in der Regel auch gute Lüftungsanlagen.
Erfreulich begann das Comeback der Kinos im Juli für die Yorck-Kinogruppe. Das Liebesdrama „Undine“ sei ein großer Erfolg gewesen, sagt Geschäftsführer Christian Bräuer, der die Berliner Kinokette gemeinsam mit Heinrich-Georg Kloster führt. Im hochsommerlichen August sei es „viel schwieriger“ geworden, nun bessere sich die Lage wieder. Oft ausverkauft seien die „Tenet“-Vorführungen im Delphi Filmpalast, wo der Film ebenfalls im 70-Millimeter-Format läuft. Allerdings „bräuchten wir verstärkt deutsche Filme“. Die Yorck-Gruppe betreibt in Charlottenburg auch das Delphi Lux, das Kant Kino und das Cinema Paris. Zu den treuesten Gästen in der Krise zählt Bräuer ältere Charlottenburger, die „nicht alt im Kopf sind und nicht zu Hause sitzen wollen“. Doch so lange die jetzigen Abstandsregeln gelten, „verlieren wir Geld“.
In einem der ältesten Berliner Kinos, den seit 1913 bestehenden Eva Lichtspielen an der Blissestraße, sagt Karlheinz Opitz: „Wir können uns bisher nicht beklagen.“ Das Publikum habe der Wiedereröffnung des Kinos „entgegengefiebert“, das seit 1913 besteht und eines der ältesten Berliner Filmtheater ist. Derzeit laufe der polnische Arthouse-Film „Corpus Christi“ mit großem Erfolg, berichtet Opitz. Unter Senioren sei auch die Mittwochs-Reihe „Der alte deutsche Film“ sehr beliebt. Weil von den 235 Plätzen nur noch weniger als 60 zur Verfügung stehen, „müssen wir manchmal Leute wegschicken“.
Dagegen sagt Peter Latta, der zusammen mit Martin Erlenmaier das Bundesplatz Kino betreibt: „Ausverkaufte Vorstellungen sind rar.“ Es gebe sie fast nur in der aktuellen Fellini-Reihe. Und das, obwohl die maximale Platzzahl von 87 auf „durchschnittlich 24“ reduziert wurde. Sonderveranstaltungen sind so nicht mehr möglich. Auch am Bundesplatz bilden langjährige Stammgäste einen Großteil des Publikums. Eine Spendensammlung in der ersten Phase der Coronakrise habe zu einer „guten Resonanz“ geführt, sagt Latta. Nach der Wiedereröffnung wurde die Werbung dafür aber gestoppt. „Irgendwann wird das peinlich“, findet der Kinochef. Gerade erst haben er und Erlenmaier große Teile ihres Kinos renovieren lassen. Wann diese Kosten wieder eingespielt werden können, ist nicht absehbar. Immerhin bekommt das Filmtheater aber auch immer wieder Prämien, weil es regelmäßig zu den Gewinnern der bundesweiten und regionalen Kinoprogrammpreise gehört.