Namen & Neues

Bezirkspolitiker debattieren über die "Mobilitätswende"

Veröffentlicht am 14.05.2021 von Cay Dobberke

Die Verkehrspolitik gehört seit jeher zu den Aufreger-Themen in Charlottenburg-Wilmersdorf – und im Wahlkampf natürlich erst recht. In einer aktuellen Diskussion über die Mobilität der Zukunft ist sich nicht einmal die rot-grün-rote Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung einig. SPD und Linke kritisieren sowohl Bau- und Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger als auch Berlins Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther (beide Grüne).

Wir fassen Statements aller BVV-Fraktionen zusammen, die als „Thema des Monats“ auf der Webseite des Bezirks veröffentlicht wurden.

Jürgen Murach (SPD) schreibt, seine Partei habe am Berliner Mobilitätsgesetz mitgewirkt, das Qualitätsstandards für Fuß- und Radwege festlege. Als die Grünen die Verantwortung für die Verkehrsverwaltungen im Bezirk und im Senat übernahmen, „haben wir uns mehr davon erhofft“. Nur wenige Radwege seien erweitert worden, es existiere „noch nicht mal ein Radverkehrsplan“. Auch Baumaßnahmen für Fußgänger könnten nicht umgesetzt werden, weil die Senatsverwaltung keine Ausführungsvorschriften liefere. Für die Straßenbahnstrecke zwischen der Turmstraße und der Jungfernheide gebe es bisher nur „Vorplanungen“. Die Parkraumbewirtschaftung müsse ausgeweitet werden. Dafür habe Stadtrat Schruoffeneger nichts getan.

Gegen „ideologische“ Verkehrspolitik argumentiert Christoph Brzezinski (CDU). Wichtig seien die Bedürfnisse der Menschen. Zweifellos habe sich deren Mobilitätsverhalten verändert, die Zahl der Radfahrer:innen steige. In einem noch fehlenden „bezirksweiten Gesamtkonzept“ müssten der Auto- und der Radverkehr möglichst voneinander getrennt werden, „ohne dabei die einen oder die anderen zu benachteiligen“. Nur wenn es parallele Strecken für Autofahrer:innen gebe, sollten Fahrspuren in Radstreifen umgewandelt werden.

Stadtrat Schruoffeneger und seine Abteilung hätten „viele Projekte angestoßen, die die Mobilitätswende weiterführen“, finden Ansgar Gusy und Alexander Kaas Elias (Grüne). Als Beispiele nennen sie die neuen Fahrradboxen nahe dem Klausenerplatz, das Bebauungsplanverfahren für ein Fahrradparkhaus am Stuttgarter Platz sowie drei „Mobilitätshubs“ an U-Bahnhöfen, wo Autos, Fahrräder und Roller ausgeliehen werden können. Die Pop-up-Radwege in der Kantstraße fänden „großen Zuspruch“. Das Bezirksamt wolle die Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße verlängern und plane zwei Spielstraßen. Eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung werde „vorbereitet“.  Auch für sichere Schulwege gebe es ein Konzept.

Felix Recke (FDP) beklagt „viel Aggression“ im Straßenverkehr. Berlins Regierungskoalition habe den „Kampf um die Aufteilung der Straße“ ausgerufen und mache „Stimmung gegen das Auto“. Doch die Infrastruktur habe sich kaum verbessert. „Pop-up-Radwege ohne Bürgerbeteiligung, zulasten anderer Verkehrsteilnehmer, sind der neue Maßstab.“ Pläne der Senatsverkehrsverwaltung für Radwege durch Parks und Einkaufsstraßen „gefährden Fußgänger“. Der öffentliche Nahverkehr werde „komplett ignoriert“. Ideen für den Weiterbau der U-Bahnlinie U1 bis zum Adenauerplatz kämen nicht voran. Die Straßenbahntrasse aus Moabit verzögere sich „massiv“, außerdem seien nur wenige neue Busspuren entstanden.

„Der Autofahrer wird rücksichtslos drangsaliert“, kritisiert Jan von Ertzdorff-Kupffer (AfD). Das „zum Mobilitätsgesetz umetikettierte Radgesetz“ sei eine „Mogelpackung“, aber auch ein proklamiertes Ziel. Behinderungen des Autoverkehrs durch „Parkplatzmangel, Stau, Baustellenchaos“ und Tempolimits führten „nicht zu verbesserter Mobilität im Sinne von individueller Freiheit“. Das Bezirksamt probiere vieles aus. „Ob all dies nachhaltig ist, wird sich bei stetig wachsendem Verkehrsaufkommen schnell herausstellen.“

Die Verkehrswende werde ein „bestimmendes Thema“ im Wahlkampf, glaubt Sebastian Dieke (Linke). Die Coronakrise habe  in manchen Berliner Bezirken zu „erheblichen Verbesserungen für den Rad- und Fußverkehr“ geführt. Dagegen sei in Charlottenburg-Wilmersdorf „fast nichts passiert“, obwohl ein Stadtrat der Grünen die Verkehrsverwaltung leite. Senatsgelder in Millionenhöhe, die für Radwege zur Verfügung gestanden hätten, seien „nicht abgerufen“ worden. Den „konservativen und rechten Kräften“ in der BVV wirft Dieke vor, die Interessen von Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu ignorieren.