Kiezgespräch

Veröffentlicht am 14.02.2020 von Cay Dobberke

Fairtrade-Händler sehen sich unfair behandelt. Nach mehr als 40 Jahren muss der Weltladen im Glockenturm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am 17. Februar  schließen, weil die Gemeinde der Betreiberfamilie Neumann wegen Bauarbeiten gekündigt hat. Der Laden ist das älteste Berliner Geschäft für fairen Handel, war 1975 im Forum Steglitz gegründet worden und 1977 in die Kirche umgezogen. Die 77-jährige Renate Neumann führt den Betrieb zusammen mit ihrem Sohn und ihrem 80-jährigen Ehemann. Erst am 22. Januar habe Pfarrer Martin Germer ihr die kurzfristige Kündigung mitgeteilt, beklagt sie. Anders als früher sei nun auch nicht mehr von einer späteren Rückkehr des Weltladens in den Turm die Rede.

Pfarrer Germer betont, die Betreiber hätten seit 2018 gewusst, dass sie für die Sanierung der maroden Betonwaben an der Turmfassade raus müssen. Der jetzige Termin beruhe allerdings auf der draußen laufenden Bodensanierung des „Podiums“, auf dem die Kirchenbauten stehen. Denn dafür müsse das ganze Gerüst vorübergehend abgebaut und der Turm gesperrt werden. Die Zeitpläne hätten sich öfters geändert, sagt Germer. Zu der späten Information über den genauen Kündigungstermin habe allerdings auch eine bedauerliche „Kommunikationspanne“ geführt.

Als „Kompromiss“ hat die Gemeinde dem Weltladen angeboten, ein Jahr lang ein Nebengebäude der Kirche nutzen, das „Foyer“ genannt wird und derzeit leer steht. In dieser Zeit könnten die Betreiber eine „gezielte Suche nach neuen Räumlichkeiten in der City West mit aktiver Hilfe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisgemeinde“ starten. Doch Renate Neumann hält davon nichts. Das Foyer sei zu verwinkelt und werde von Passanten kaum bemerkt, für eine ausreichende Werbung fehle das Geld: „Da hinten würden wir sowieso sterben“. Durch die Kündigung erleide die Familie voraussichtlich einen Verlust in Höhe von mehr als 50.000 Euro. Neumanns Sohn Thorsten drückt es noch drastischer aus: „Wir gehen in die Pleite.“

Für eine Rettung an der alten Stelle werden nun Unterschriften an der Ladenkasse gesammelt. Es gibt keinen schriftlichen Mietvertrag. Allerdings glaubt ein Anwalt der Familie Neumann, durch die langjährige Nutzung sei ein Vertragsverhältnis entstanden. Viele Jahre lang stellte die Gemeinde den 35 Quadratmeter großen Raum kostenlos zur Verfügung. Seit 2015 hätten sie ein paar hundert Euro pro Monat als Gebühr gezahlt, sagen die Händler.

Gegen eine Rückkehr des Ladens nach der Glockenturmsanierung spricht laut Pfarrer Germer, dass die Arbeiten mindestens zwei Jahre lang dauern dürften und frühestens im kommenden Herbst beginnen könnten, vielleicht aber auch erst im Frühjahr 2021. „Die Finanzierung ist noch nicht gesichert.“

Das Foyer-Gebäude komme ebenfalls nicht als dauerhafter Standort des Weltladens infrage, sagt Germer. Es solle bald zur „Citykirche mit Gastronomiebetrieb“ umgebaut werden. Für mehr reiche der Platz darin nicht aus. Die Gemeinde hatte an dieser Stelle schon vor einigen Jahren ein Kirchencafé geplant, war aber an Bedenken des Landesdenkmalamts gescheitert. Das vom Architekten Egon Eiermann gestaltete Foyer steht ebenso unter Schutz wie alle anderen Bauten der Gedächtniskirche. Jetzt scheint es doch noch Fortschritte bei den Caféplänen zu geben. „Der Denkmalschutz hat unserem Ziel grundsätzlich zugestimmt“, freut sich der Pfarrer.

+++
Dieser Text stammt aus dem aktuellen Tagesspiegel-Newsletter für Charlottenburg-WilmersdorfIn unseren Bezirks-Newslettern berichten wir kompakt, konkret und einmal in der Woche, was los ist in Ihrem Bezirk. 180.000 Haushalte haben die Newsletter schon fest abonniert. Sie haben auch Interesse?  Den Charlottenburg-Wilmersdorf-Newsletter gibt es kostenlos, kompakt und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de

+++
Meine weiteren Themen im Newsletter für Charlottenburg-Wilmersdorf – hier eine Auswahl.

  • Anwohner und Politiker diskutierten über Umbau des Autobahndreiecks Funkturm
  • Moin! Ostfriesenverein pflegt Traditionen wie Boßeln und Grünkohlessen
  • Saubere Schulen, mehr Verkehrssicherheit und Streit um Einwohnerfragen – unsere Vorschau auf interessante Themen der BVV
  • Bodenplatte mit antisemitischer Inschrift entfernt
  • Warum die Gedächtniskirche dem ältesten Berliner Weltladen gekündigt hat