Kiezgespräch
Veröffentlicht am 22.05.2020 von Cay Dobberke
Weitere Proteste gegen Abriss der Poelzig-Villa. Rund 3600 Menschen haben sich bisher der Online-Petition zur Rettung der alten Villa von Marlene Moeschke-Poelzig und Hans Poelzig in Westend angeschlossen. Wie berichtet, hat der Kunst- und Architekturhistoriker Kolja Missal die Petition gestartet, um den von Investoren geplanten Abriss für einen Neubau mit sechs Wohnungen zu verhindern. Missal will auch erreichen, dass die Villa an der Tannenbergallee 28 zum Baudenkmal erklärt wird. Ein Foto des Einfamilienhauses, das 1929 bis 1930 nach Entwürfen von Marlene Moeschke-Poelzig entstanden war, finden Sie hier.
Weitere Architekturexperten melden sich nun in eigenen Erklärungen zu Wort. Eine davon stammt von Wolfgang Pehnt und Matthias Schirren, die 2008 im Auftrag der Akademie der Künste Berlin die Ausstellung „Hans Poelzig. Architekt, Lehrer, Künstler“ kuratiert hatten. Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel sandte die Stellungnahme der Architekturhistoriker an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Darin heißt es, die Villa sei das „einzige Bauwerk“, für das die Architektin und Bildhauerin Marlene Moeschke-Poelzig allein verantwortlich zeichnete. Damit symbolisiere das Haus die „Emanzipationsgeschichte weiblicher Architektinnen“. Nach dem Tod ihres Mannes habe Moeschke-Poelzig es außerdem „als Zuflucht für vom Naziregime Verfolgte bzw. deren Angehörige geöffnet“.
Zur Geschichte der Villa zählen Pehnt und Schirren aber auch, dass sie 1937 von Veit Harlan, dem Regisseur des antisemitischen NS-Propagandafilms „Jud Süß“, erworben wurde. Vielleicht sei der berüchtigte Film sogar dort geschnitten worden, Harlan habe einen Kinosaal einbauen lassen.
Das Landesdenkmalamt hatte es in den 1990-er Jahren abgelehnt, die Villa unter Schutz zu stellen. 1954 seien das Dach, die Fenster und Hans Poelzigs Atelier stark umgestaltet worden, hieß es zur Begründung. Das räumen auch die beiden Architekturhistoriker ein. „Doch selbst hierin liegt inzwischen möglicherweise Denkmalwürdiges“, glauben sie. Die Umgestaltung zeige die „negative Modernerezeption“ in der frühen Nachkriegszeit.
Aus Sicht der Architektin Helga Schmidt-Thomsen, die Ehrenmitglied im Deutschen Werkbund Berlin ist, kann die Villa als Denkmal „der Emanzipations-Geschichte, der Reformen von Kindheit und Erziehung und der Kunst naturnaher Gärten“ gelten. Marlene Moeschke-Poelzig habe das Gebäude vorbildlich „für die drei Kinder angelegt, mit schönen Spielräumen im Erdgeschoss und einer innigen Verbindung zu den Gartenanlagen mit Terrassen, Planschbecken, Spielgarten und großer Rasenfläche“. Der Werkbund Berlin unterstütze Bemühungen, diese Gestaltung „für eine öffentlich zugängliche Nutzung“ zu rekonstruieren.
Die Abrisspläne seien ein „Skandal“, urteilt der Kunstwissenschaftler, Architekturkritiker und Autor Nikolaus Bernau. Als in den 1990-er Jahren ein Denkmalschutz geprüft und verworfen wurde, seien „weder die Denkmalpfleger noch die Öffentlichkeit“ dazu bereit gewesen, „das Werk einer Frau als wichtig anzusehen“. Auch Bernau findet, die Umbauten im Jahr 1954 sprächen nicht gegen den Denkmalwert. Vielmehr sei das Haus damit zusätzlich ein Beispiel des „konservativen Villenbaus“ und „Manifest einer konservativen Moderne, die das Neue Bauen auch nach 1945 vehement ablehnte“.