Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.09.2019 von Cay Dobberke

Katrin Brekenfeld ist eine begeisterte Marathonläuferin aus Charlottenburg-Wilmersdorf und gehört zu einer Laufgruppe des Berliner Sport-Clubs. Das Foto zeigt sie mit ihrem Sohn Ole beim Intersport Lauf in Steglitz am vorigen Sonntag. Über ihre Motivation und ihre Erfahrungen beim Berlin-Marathon hat uns Katrin Brekenfeld den folgenden Beitrag gesandt.

Immer schon frage ich mich, was an den 42,195 Kilometern ist, dass sie so manchen Läufer(in) ergreifen und faszinieren und nicht mehr loslassen  und man sie ein Mal oder auch mehrmals schaffen will. Ist es die krumme Zahl oder die Geschichten und Legenden, wie es zu dieser historischen Distanz kam?! Für mich ist es mehr eine mentale als eine körperliche Leistung. Ich glaube, dass man  vorausgesetzt, es liegen keine gesundheitlichen Einschränkungen vor  jeden Körper physisch dahin trainieren kann. Aber die große Frage ist: Will man das, hält man das Training durch und ist auch der Geist soweit trainiert? Am Ende ist es ein Sieg über sich selbst.

Ich bin eine Self-Made-Marathonfrau. 1995 richtete Köln zum ersten Mal einen Marathon aus, meine damalige Heimatstadt. Eine Freundin und ich hatten die fixe Idee, komm, da machen wir mit. Wir sind dann einfach so oft wie möglich, so lange wie möglich gelaufen. Also eigentlich jeden Tag. Dummerweise immer im gleichen Tempo, denn von Trainingsmethoden hatten wir nie was gehört. Mit knapp unter 4,5 Stunden bin ich aber trotzdem ganz froh ins Ziel gekommen. Anschließend habe ich mir viele Bücher über das Laufen gekauft und variationsreicheres Training eingeübt, mit Pause-Tagen, Tempoläufen etc. Seit kurzem trainiere ich in einer Gruppe beim BSC und lerne die Vorzüge der Gruppe und eines Trainers zu schätzen.

Ich bin keine Bestzeitenläuferin, durchkommen ist das Ziel. Trotzdem wollte ich einmal unter vier Stunden laufen, was für uns Amateure eine ganz bedeutende Marke ist. Mir war immer schon die Gabe gegeben, mein Tempo gut dosieren zu können und so laufe ich meist den letzten wie den ersten Kilometer. Und wenn alle einem die gängigen Marathonweisheiten entgegenschleudern  jaja, und dann kommt ja der Mann mit dem Hammer oder die Mauer jenseits der 30 km  konnte ich immer sagen: „Was? Nee, kenn‘ ich nicht.“

Ich bin immer stetig, gleichmäßig und gleichmütig durchgelaufen. Keine Wand, kein Hammer. Bis zu dem Lauf, bei dem ich meinte, unter die Vier-Stunden-Marke kommen zu müssen. Die Euphorie war groß, als die Straße beim Berliner Regierungsgelände hinter der Brücke leicht abschüssig mir einen leichtfüßigen, nahezu fliegenden Flow bescherte. Doch dann kam der Mann mit dem Hammer schon bei Kilometer 17. Mir wurde schwindelig, ich konnte nicht mehr richtig gucken…aber gerade noch soviel, dass ich am Streckenrand engelsgleich einen lieben Menschen erblickte (meine Schwiegermutter), die mir eine bereits geschälte Banane entgegenstreckte, die ich dankbar annahm, nicht wissend, ob ich gerade träume. Körperlich ging es danach wieder bergauf. Leider nicht mental, und so habe ich die weiteren 25 Kilometer einen ständigen inneren Kampf ausgetragen. Das war so zermürbend zwar habe ich trotz zeitweisem Gehen mit 3:57 mein Ziel erreicht! , dass ich hinter der Ziellinie in Tränen ausbrach. Der Stolz kam, glaube ich, am nächsten Tag, hat den Schmerz aber nicht wirklich wettgemacht.

Zuletzt bin ich in London gelaufen. Das Rechnen mit Meilen statt Kilometern hat mich so wuschig gemacht, dass ich nach 4 oder 5 Meilen (oder Kilometern?!) jegliche Zeitambition abgelegt habe und mich einfach am Lauf erfreut habe. Es war mein schönster Marathon und den habe ich für gut 4:20 genossen. Es gab leichten Nieselregen  besser geht’s nicht! , ich hatte tolle Streckenbegleitung von meinem Mann und unseren besten Freunden Keith und Helen. Glücklich und strahlend bin ich am Buckingham Palace vorbeigelaufen und habe vornehm der Queen zugewunken. Ich erinnere mich bis heute an das bunte englische, häufig verkleidete Miteinander zwischen Läufern und Zuschauern, es war eine einzige Show, besser als Kino. Berlin ist stimmungsmäßig aber auch grandios.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter:  cay.dobberke@tagesspiegel.de