Nachbarschaft

Veröffentlicht am 31.07.2020 von Cay Dobberke

„Alles, was nicht niet- und nagelfest ist“ rahmt Julia Busch hinter Glas ein – vom ersten Zimmermannshammer eines heutigen Immobilienunternehmers über Blütenblätter für Hochzeitsfeiern und verschiedenste Bilder bis hin zur Plastikfigur des „Hörnix“-Schlumpfes für einen Hörgeräteladen. Auch eine Münze, die jemand nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 unter den Trümmern in New York gefunden hatte, konservierte sie mit Glas und sagt: „Jede Rahmung hat eine Geschichte.“

Seit einem Vierteljahrhundert betreiben die Glasermeisterin und ihr Lebensgefährte Sven Klingele (der ebenfalls Glasermeister ist) das Geschäft Glas macht Spaß! am Rüdesheimer Platz 11 und eine Werkstatt an der Blissestraße. Julia Buschs zweites Spezialgebiet sind die oft in alten Hausfluren angebrachten Bleiverglasungen, die sie repariert oder auch selbst anfertigt – wie zum Beispiel die auf unserem Foto abgebildete Hommage an Andy Warhols „Campbell’s Soup Cans“.

Die 51-jährige Mutter zweier erwachsener Kinder stammt aus einer ostdeutschen Künstlerfamilie und lernte das Glaserhandwerk von 1985 bis 1987. Auf diese Idee war sie schon als 13-Jährige durch einen mit der Familie befreundeten Bleiglasmaler gekommen. Das will ich auch machen, dachte sie sich – und ahnte nicht, was man als Glasermeisterin sonst noch alles zu tun hat. Mit ihrem Beruf zeigt sie sich bis heute so glücklich, wie es der fröhliche Firmenname verspricht.

Im Kiez am Rüdesheimer Platz fühlen sich Julia Busch und Sven Klingele „sehr wohl“. Beide freuen sich über regen Kontakt mit Nachbarn und deren „Wertschätzung“ für ihre Arbeit. Sie vermissen nur das Winzerfest „Rheingauer Weinbrunnen“ oberhalb des Siegfriedbrunnens. In diesem Jahr fällt es wegen der Coronavirus-Pandemie aus.

Dem Betrieb hat die Coronakrise dagegen nur wenig geschadet. Die Zahl der energetischen Haus- und Wohnungssanierungen sank zwar, doch es kamen Aufträge von Leuten hinzu, die mehr Zeit zu Hause verbrachten und sich zu Renovierungen entschlossen. Kurz vor dem Ausbruch der Krise hatte ein Geselle seinen Job bei dem Glasermeister-Paar gekündigt. Zwei Monate lang machten beide alleine weiter, bis sie im Juni einen neuen Gesellen anstellten. Viel schwieriger sei die Suche nach guten Azubis, sagen sie.

Das 25. Firmenjubiläum soll am 1. November gefeiert werden – nur wie, weiß Julia Busch noch nicht. Eine großes Fest schließt sie wegen der anhaltenden Pandemie aus. Mehr Sorgen bereitet ihr allerdings die Werkstatt. Der Vermieter hat die Räume in einer früheren Kneipe an der Blissestraße zum Jahresende gekündigt. Nun wird dringend ein etwa 60 bis 80 Quadratmeter großer Ersatzstandort im Bezirk gesucht. „Wir machen natürlich Geräusche“, gibt die Unternehmerin zu, beruhigt potenzielle Vermieter aber damit, dass eine Glaserwerkstatt „nicht so laut wie eine Tischlerei“ sei.

Foto: Cay Dobberke

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