Nachbarschaft

Veröffentlicht am 04.09.2020 von Cay Dobberke

Christian Johann ist Direktor der Europäischen Akademie Berlin (EAB) an der Bismarckallee 46/48.

Wenn zigtausende Menschen in Belarus gegen Staatschef Alexander Lukaschenko und das zweifelhafte amtliche Ergebnis der Präsidentenwahl protestieren, ist das auch in Grunewald ein Thema. Am gestrigen Donnerstag veranstaltete die Europäische Akademie Berlin die Videokonferenz „100.000 auf den Barrikaden – wohin, Belarus?“ unter der Leitung von Vize-Direktorin Weronika Priesmeyer-Tkocz. Die Aufzeichnung finden Sie hier bei Facebook.

Der neue Leiter der politischen Bildungsstätte ist mit 38 Jahren noch recht jung und amtiert erst seit dem 1. Juli. Christian Johann stammt aus Spandau und wohnt seit 15 Jahren in Charlottenburg-Wilmersdorf. Er hat Geschichte und Politik studiert, seine Dissertation handelte vom „Wohlfahrtsstaat und der gesellschaftlichen Mitte im internationalen Vergleich“. Johann war wissenschaftlicher Mitarbeiter der damaligen Bundestagsabgeordneten Petra Merkel (SPD) und einer der Gründer des Berliner Start-Ups Studio2B, das Jobsuchenden beispielsweise virtuelle Betriebsbesuche anbietet.

Als sein erstes Ziel nennt der neue Direktor, die EAB bekannter zu machen. Dass in der Bismarckallee nur wenige Fußgänger unterwegs sind und manche Gäste die „abgelegene Lage“ bedauern, kann er nicht ändern. Aber er will die Akademie verstärkt in der Berliner Öffentlichkeit präsentieren – unter anderem durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Europabeauftragten von Charlottenburg-Wilmersdorf, Gunnar Betz. „Wir machen viel über die bezirklichen Rathäuser“, sagt Johann. Außerdem werden Info-Stände in Fußgängerzonen oder bei Straßenfesten aufgebaut.

Die Geschichte der Akademie reicht bis 1963 zurück. Ihre Gründung war eine Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961, um den innereuropäischen Einigungsprozess zu fördern. Statt sich dabei nur nach Westeuropa hin zu orientieren, habe die EAB „die Verbindung zum Osten nie abgebrochen“, betont Johann. Viele Kontakte gab und gibt es mit mittel- und osteuropäischen Staaten wie Belarus, Georgien, Polen, der Ukraine und der Tschechischen Republik.

Aus Deutschland kommen unter anderem Bundeswehrangehörige, denen das Leitbild der „Staatsbürger in Uniform“ erklärt wird. Oft gastieren auch Vertreter politischer und sozialer Organisationen in Grunewald. Darüber hinaus beschränkt sich die Akademie nicht auf Europa, sondern lädt regelmäßig Gäste aus Algerien und Marokko ein.

Prominent besetzt ist der gemeinnützige und überparteiliche Trägerverein. Ihm gehören beispielsweise die früheren Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Klaus Wowereit (SPD) an. Zu den Mitgliedern zählen auch die Berliner Abgeordneten Anja Schillhaneck (Grüne), Frank Zimmermann (SPD) und Stefan Evers (CDU), drei Bundestagsabgeordnete und die ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dagmar Roth-Behrendt (SPD).

Nur AfD-Politiker sind weder im Verein noch als Gastredner willkommen. „Wer Demokratie und Europa nicht aktiv unterstützt“, sei in der Akademie am falschen Ort, findet Direktor Johann. Bei Veranstaltungen „können wir AfDler nicht herausschmeißen, aber wir laden sie nicht ein“.

Finanziert wird die Akademie hauptsächlich von der Berliner Senatskanzlei. Mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa „arbeiten wir inhaltlich zusammen“, fügt Johann hinzu. Seminare, Fortbildungen, Podiumsdiskussionen und Gesprächsrunden finden entweder in der Villa, die 1928 für den deutschen Direktor der Lebensmittelmarke Maggi entstanden war, oder in neueren Anbauten statt. Außerdem gibt es einen großen Garten. Bis zu 54 Teilnehmer mehrtägiger Veranstaltungen können in Gästezimmern übernachten und im hauseigenen Restaurant speisen. Auch Touristen dürfen Zimmer mieten – die moderaten Preise passen zur Einstufung in die Hotelkategorie Drei Sterne.

Die Coronakrise erschwert die Arbeit. In einem der größeren Säle gibt es normalerweise 114 Plätze, wegen der Abstandsregeln sind es jetzt nur noch 20. Und es fehlt Geld, das sonst durch die Raumvermietungen eingenommen wurde. Immerhin sind die Gästezimmer seit Anfang September wieder ausgebucht.

Viele Veranstaltungen stehen allen Interessierten offen. Beispielsweise startet am 5. Oktober ein zweitägiger „Crash-Kurs“. Unter dem Titel Europa – Jenseits der Schlagzeilen geht es um politische Hintergründe und Perspektiven sowie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Im kommenden Jahr wird bürgerschaftliches Engagement zu einem thematischen Schwerpunkt. Der Anlass dafür ist, dass Berlin vom „European Volunteer Centre“ zur „Europäischen Hauptstadt des freiwilligen Engagements 2021“ gekürt wurde.

Privat gefällt es Christian Johann, dass er von der Akademie aus „in zehn Minuten im Grunewald“ sein kann, um dort spazieren zu gehen. Gerne besucht er auch die Fotogalerie Camerawork an der Kantstraße sowie bekannte Charlottenburger Lokale wie Diener Tattersall an der Grolmanstraße, die Paris Bar an der Kantstraße, die Dicke Wirtin an der Carmerstraße oder den – nach einer Brandstiftung leider vorerst geschlossenen – Zwiebelfisch am Savignyplatz. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet, zur Familie gehören ein achtjähriger Sohn und eine fünfjährige Tochter. Derzeit freut sich das Ehepaar auf die nahende Geburt der zweiten Tochter.

Foto: Cay Dobberke

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