Nachbarschaft

Veröffentlicht am 26.02.2021 von Cay Dobberke

Maria Herrlich ist Grafikerin, illustriert Bücher und veranstaltet einen Kultursalon.

Manche der Porträtzeichnungen, die an den Wänden ihrer Wilmersdorfer Altbauwohnung hängen, wirken krakelig und fehlerhaft, so wie auf unserem Foto. Maria Herrlich nennt die aus Spaß entstandenen Bilder „Stierporträts“, was nichts mit den Tieren zu tun hat. Vielmehr hatte die Grafikerin damit angefangen, Mitglieder ihrer Zeichengruppe „anzustieren“ und sie dabei blind zu skizzieren, ohne aufs Papier zu schauen. Das erklärt die teils verrutschten Proportionen der nachträglich kolorierten Bilder.

Eigentlich beherrscht Maria Herrlich ihre Kunst natürlich besser, auch wenn sie keine Ausbildung als Grafikerin absolviert hat. Hauptberuflich illustriert sie Bücher, gestaltet sie oder schreibt humorvolle Texte. Die meisten Werke sind im Bübül Verlag Berlin erschienen. Der Verlag gehört der Schriftstellerin Tanja Langer, mit der Herrlich seit vielen Jahren befreundet ist.

So entstand beispielsweise vor vier Jahren das Buch Nixen-Dessous, in dem Maria Herrlich sich ausmalte, welche Unterwäsche Nixen wohl tragen könnten. Reime dazu schrieb der Lyriker und Satiriker F. W. Bernstein. Als gemeinsamer Nachfolgeband war das Buch „Katzenwäsche“ gedacht, doch 2018 starb F. W. Bernstein. Daraufhin dichtete der Poetry-Slammer und Kabarettist Frank Klötgen einige Texte zu ihren fröhlichen Katzenbildern.

Als ihr jemand eine Karte mit einem Gruß aus Alliterationen schrieb, griff Herrlich die Idee auf und veröffentlichte 2019 das Buch Love Letters aus Absurdistan, in dem alle Wörter mit dem gleichen Anlaut beginnen (Textprobe: „Leider leiden Leute lieber länger. Leere Lust liebt Leidenschaft, Leidenschaft liebt liederliche Liebe, liederliche Liebe lässt leiden, Leiden liebt Lust…“). Sie habe sich darum bemüht, dass die Texte irgendeinen Sinn ergeben, betont die Künstlerin. Ein Video, in dem Maria Herrlich den Band vorstellt, gibt es auf YouTube.

Zu ihrem Repertoire gehören auch selbstverfasste Rezeptbände mit skurrilen Zeichnungen oder das „Ei-Buch“, in dem sie eigene Zeichnungen zum Thema mit Beiträgen zeitgenössischer Autor:innen sowie älteren poetischen Texten bekannter Dichter und Schriftsteller kombinierte.

Mit F. W. Bernstein, der bürgerlich Fritz Weigle hieß und lange in Steglitz wohnte, verband Maria Herrlich noch mehr. Sie gehört der von ihm gegründeten Zeichengruppe „Fritz & Friends“ an, die bis heute fortbesteht. Unter den Mitgliedern sind ehemalige Kunstlehrer:innen, aber auch Anwält:innen und eine frühere Richterin. Die Kontaktbeschränkungen in der Coronakrise haben die persönlichen Zusammenkünfte unterbrochen. Im Sommer des vorigen Jahres nutzten die insgesamt 20 Zeichner:innen aber die Möglichkeit, sich draußen in einem wechselnden kleinen Kreis auf einer Restaurant-Terrasse zu treffen.

Im jetzigen Lockdown könnte sich die Gruppe per E-Mail austauschen. Die Mitglieder bevorzugen es aber, sich selbstgemachte Postkarten zu schicken. Dutzende davon hat Maria Herrlich an Äste von Pflanzen in ihrer Wohnung gehängt. Um trotz des brachliegenden gesellschaftlichen Lebens nicht immer nur zu Hause zu sitzen, geht sie oft in ihrem Kiez spazieren oder besucht mal wieder ihren Lieblingsladen, das französische Feinkostgeschäft Maître Philippe an der Emser Straße. „Das Leben muss weitergehen“, lautet ihr Motto. Maria Herrlichs Ehemann ist vor 20 Jahren gestorben. Die erwachsene Tochter wählte zur Überraschung der Mutter einen ganz anderen Beruf als sie selbst und wurde Polizeikommissarin.

In ihrer Wohnung beherbergt Maria Herrlich immer wieder studentische Untermieter:innen, zurzeit teilt sie sich die Räume mit einer Filmemacherin aus der Mongolei. „Ich bin nicht reich“, sagt Maria Herrlich, alleine könne sie sich die große Wohnung kaum leisten. Sie nutzt den vielen Platz auch für den „Herrlichen Salon“ mit Lesungen und Musik. Diesen hatte sie 2013 ursprünglich in einer benachbarten Weinhandlung gegründet, die sie zusammen mit einer Freundin führte. Später stieg sie aus dem Geschäft aus, unter anderem, weil es viel Zeit in Anspruch nahm.

Normalerweise lädt sie ein Mal im Monat, außer in der Adventszeit, über ihren Newsletter in den Salon ein. Literat:innen und manchmal auch Musiker:innen präsentieren sich vor 15 bis 35 Leuten. Dazu serviert die Gastgeberin ein selbstgemachtes Buffet. Um die Kosten zu decken und den Künstler:innen ein kleines Honorar zahlen zu können, bittet sie um Spenden. Momentan kann der Salon natürlich nicht stattfinden. „Ich überlege, virtuell weiterzumachen“, sagt Maria Herrlich.

Sie wurde 1955 in Leipzig geboren, aber noch vor der Teilung Deutschlands im Jahr 1961 zog die Familie nach Frankfurt am Main und später nach Düsseldorf um. Zuvor hatte der Vater eine Haftstrafe in Bautzen erleiden müssen, nachdem er Schallplatten in die DDR geschmuggelt und Jazzkonzerte veranstaltet hatte. „Das war damals nicht erwünscht“, erinnert sich Maria Herrlich. Im Westen zeichnete ihre Mutter unter anderem Werbegrafiken für die Internationale Grüne Woche in Berlin. Seit 1978 wohnt Herrlich in unserer Stadt.

Zuletzt übernahm sie die optische Gestaltung eines mehrsprachigen Kinderbuchs, das bald erscheinen soll. Speziell das Layout der hebräischen Fassung habe sie allerdings „fast wahnsinnig gemacht“, erzählt Maria Herrlich. Denn ihre Computerprogramme waren nicht auf eine Schrift ausgelegt, die von rechts nach links gelesen wird. Es dauerte lange, bis endlich alles passte.

Foto: Cay Dobberke

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