Nachbarschaft

Veröffentlicht am 09.04.2021 von Cay Dobberke

Katrin Schindler leitet ab Mitte Mai die Besucherorganisation Kulturvolk an der Ruhrstraße 6 in Wilmersdorf.

Aus der Coronakrise könne die Kultur sogar „gestärkt hervorkommen“, glaubt die gebürtige Berlinerin. Die Menschen „merken, was ihnen fehlt“ und hätten ein großes Bedürfnis, Veranstaltungen live zu erleben. Wahrscheinlich werde das vielfältige kulturelle Angebot in der Stadt „wieder mehr wertgeschätzt“. Das nutze natürlich nur den Institutionen, die ihre momentane Schließung im Lockdown finanziell überstehen. Große Häuser, die staatliche Subventionen erhalten, hätten es leichter als die Freie Szene.

Bald wird Katrin Schindler zur Vermittlerin zwischen Veranstaltern und ihrem Publikum. Am 11. Mai übernimmt sie die Geschäftsführung des Vereins Freie Volksbühne Berlin, der sich als Besucherorganisation seit 2017 „Kulturvolk“ nennt. Für einen Jahresbeitrag von 48 Euro (unter 27-Jährige zahlen die Hälfte) erhalten Mitglieder bis zu 40 Prozent Rabatt auf Tickets für Theater, Konzerte, Lesungen und einiges mehr. Auch Karten für ausgewählte Sportveranstaltungen wie Heimspiele von Hertha BSC sind erhältlich.

Über die reine Hochkultur hinaus hatte die bisherige Geschäftsführerin und vorherige Grünen-Kulturpolitikerin Alice Ströver das Angebot erweitert. Nach neun Jahren an der Spitze des Vereins geht sie in den Ruhestand (lesen Sie dazu auch unser Porträt auf tagesspiegel.de). „Alice hat alles auf einen modernen Level gebracht“, lobt ihre Nachfolgerin. Sie selbst sei noch dabei, sich einzuarbeiten, sagt Katrin Schindler. Der jetzige „Stillstand“ erleichtere dies immerhin.

In stark reduziertem Ausmaß läuft die Vereinsarbeit allerdings noch. Auch wenn niemand weiß, wie lange der Lockdown andauern wird, sind Tickets für Veranstaltungen im Sommer und Herbst bestellbar – zum Beispiel für die „Brandenburgischen Sommerkonzerte“ im Juni bis September. Auf der Kulturvolk-Webseite gibt es außerdem Streaming-Tipps für überwiegend kostenfreie Online-Kulturveranstaltungen.

Darüber hinaus beginnen Katrin Schindler und ihr achtköpfiges Team jetzt damit, ein eigenes Open-Air-Programm im Garten an der Ruhrstraße vorzubereiten. Auch das jährliche Sommerfest, bei dem viele Künstler und Kulturstätten die dafür gesperrte Straße und den Garten bespielen, soll möglichst stattfinden. Normalerweise wird zum Ende der Bühnensaison im Juni gefeiert. „Vielleicht machen es wir diesmal Ende August“, sagt die künftige Chefin. Vorerst fraglich bleibt, wann die Reihe „Montagskultur“ mit Konzerten und Lesungen im kleinen Veranstaltungs­raum weitergehen kann.

Die Mitgliederzahl des „Kulturvolks“ ist in der Coronakrise um rund zehn Prozent auf etwa 6400 gesunken. Alice Ströver hat festgestellt, dass insbesondere Menschen im hohen Alter ausgetreten sind, die sich offenbar dazu entschlossen hätten, künftig auf Besuche in Kulturstätten zu verzichten.

Im Theaterleben kennt sich Katrin Schindler bestens aus. Bis zum vorigen März hatte sie sieben Jahre lang die „Komödie Düsseldorf“ geleitet. Während der Pandemie bestand ihre Arbeit dort besonders darin, ein Hygienekonzept umzusetzen, Kurzarbeit für Angestellte zu beantragen und Proben zu ermöglichen. Aufführungen waren zuletzt, wie in allen deutschen Theatern, nur im Sommer bis Herbst 2020 zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown möglich.

Obwohl sie in Charlottenburg zur Welt gekommen war, wuchs Katrin Schindler bis zu ihrem 20. Lebensjahr in Prag auf. In Berlin studierte sie danach Kommunikations- und Theaterwissenschaften und Slawistik. „Ich komme aus einer Theaterfamilie“, sagt sie. Ihr tschechischer Vater war ein Maler und Bühnenbildner. Ihr Großvater Fritz Wisten leitete in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg zuerst das Theater am Schiffbauerdamm und von 1953 bis 1961 die Volksbühne in Mitte. Letztere war 1890 vom Verein Freie Volksbühne gegründet worden.

So gesehen, schließe sich durch ihren neuen Job als Geschäftsführerin ein familiärer Kreis, findet Katrin Schindler. Mit der Freien Volksbühne war sie indirekt auch schon als Kulturmanagerin verbunden. Für den Musicalproduzenten Friedrich Kurz arbeitete sie als Pressesprecherin, als dieser in den 1990-er Jahren mit den Musicals „Marlene“ und „Shakespeare & Rock’n’Roll“ im damaligen Theater des Vereins an der Schaperstraße gastierte.

In der Berliner Kulturszene wurde Karin Schindler vor allem durch ihre 24-jährige Tätigkeit in leitenden Funktionen bei der Komödie am Kurfürstendamm bekannt. Unter anderem organisierte sie Gastspiele und Tourneen, kümmerte sich um Verträge mit Künstler:innen und arbeitete in der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit .

In einer modernen und demokratischen Gesellschaft sei Kultur „systemrelevant“, findet sie und fragt: „Warum kann man nicht mit einem negativen Corona-Testergebnis ins Theater gehen?“ Privat wohnt Katrin Schindler mit ihrem Mann in Westend und fühlt sich dort sehr wohl. Es gehe sehr ruhig zu, der Grunewald sei nahe –  und „trotzdem ist man in der Stadt“.

Foto: Cay Dobberke

  • Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter:  cay.dobberke@tagesspiegel.de