Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.08.2021 von Cay Dobberke

„Wir haben einen Nerv getroffen“, sagen die Gründerinnen des Kinderstark Magazins, Anika (links im Bild) und Sarah Heine. Ihre „diskriminierungskritische“ Kinderzeitschrift sei die erste in Deutschland, die „Vielfalt feiert“. Wie groß das Interesse ist, zeigte schon die vorherige Crowdfunding-Kampagne. Anfang dieses Jahres kamen in rund vier Wochen mehr als 18.000 Euro zusammen. Das erste Heft erschien im April und das zweite im Juli mit einer Auflage von 2000 Exemplaren. Jede Ausgabe hat einen thematischen Schwerpunkt. Nach „Stark sein“ und „Familie“ wird es im Oktober um die Fantasie gehen.

Sieben- bis zwölfjährige Kinder sollen lernen, „wie vielfältig unsere Gesellschaft ist“ und wie sie sich oder Andere vor Diskriminierungen schützen können. Ein weiteres Ziel lautet, Wissen und Kompetenzen für eine Zukunft zu vermitteln, in der die Diversität eine immer größere Rolle spielt. Im Magazin geht es unter anderem um Menschen mit Migrationshintergrund, behinderte Personen und den „Abbau von Genderstereotypen“. Bei der Themenwahl „versuchen wir, zeitlos zu sein“, sagen die Herausgeberinnen. Die Aktualität sei auch wegen der vierteljährlichen Erscheinungsweise beschränkt.

Kinder können eigene Beiträge einsenden, die einen Großteil des Magazins füllen. Auf diese Weise werden Familien in der zweiten Ausgabe vorgestellt. Dazu gehören Beiträge eines Autisten und eines nicht-binären Kindes, das sich weder als Junge noch als Mädchen fühlt.

Auch Erwachsene machen mit. Zum Thema „Stark sein“ gehörten ein Interview mit der ersten von Geburt an blinden Strafverteidigerin in Deutschland, Pamela Pabst, und ein Gespräch mit der Autorin des Bestsellers Mist, die versteht mich ja!, Florence Brokowski-Shekete, die als Tochter nigerianischer Eltern in Deutschland aufwuchs und heute Schulamtsleiterin ist.

Begriffe, die mit Diversität zu tun haben, werden kindgerecht erklärt. Eine Serie handelt auch von den Ursachen und Bedeutungen verschiedener Gefühle. Alle Texte sind in Gendersprache verfasst. Außerdem werden Fragen an die Kinder gerichtet, die sich damit auseinandersetzen und das Ergebnis auf dafür reserviertem Weißraum im Heft beantworten sollen.

Hinzu kommen Rätsel, Rezepte, Gewinnspiele und Motive zum Ausmalen und Ausschneiden. „Wir wollen Papier lebendig machen“, sagen Anika und Sarah Heine. Auf E-Book-Ausgaben verzichten sie deshalb. Für den Kontakt mit Kindern und Eltern und für ihre Eigenwerbung nutzen sie hauptsächlich Instagram.

Im Zeitschriftenhandel gibt es das „Kinderstark Magazin“ nicht. Die 56-seitigen Hefte werden ausschließlich im Direktvertrieb einzeln oder im Abo für jeweils 9 Euro plus Versandkosten angeboten. Für einkommensschwache Familien kann der Preis ein Problem sein. Eine Senkung komme wegen der hohen Kosten aber nicht infrage, sagen die Herausgeberinnen.

Außerdem sei das Magazin in mehr als 40 deutschen Bibliotheken les- und ausleihbar. In Berlin ist dies unter anderem in der Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg möglich, in Charlottenburg-Wilmersdorf dagegen noch nicht. Eine Übersicht steht hier.

Die Herausgeberinnen arbeiten im Homeoffice an der Konstanzer Straße in Wilmersdorf. Das Magazin produzieren sie fast alleine und gestalten beispielsweise auch das Layout. Beide nennen sich „gute Autodidaktinnen“. Allerdings lassen sie sich von einer Lektorin unterstützen, die besonders darauf achtet, dass die Fotos „nichts Falsches reproduzieren“ und keine Klischees vermitteln.

Anika Heine wurde in Schleswig-Holstein geboren, ließ sich zur Veranstaltungskauffrau ausbilden und war nach einem Schauspiel- und Regiestudium vor allem in Kinder- und Jugendtheatern tätig. Sarah Heine stammt aus Luckenwalde und studierte Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Kommunikation, Migration, Integration und Gender. Sie arbeitet weiterhin auch als Büroleiterin in einem Unternehmen. Beide Frauen sind Ende Dreißig, verheiratet und haben ein siebenjähriges Kind, mit dem sie in Wilmersdorf „alle Spielplätze abklappern“.

Ihre Mutterschaft gehört zur Vorgeschichte des Magazins. Denn für ihr Kind hatten Anika und Sarah Heine nach Zeitschriften gesucht, die „verschiedene Lebenssituationen und Diskriminierungen abbilden“. Nachdem sie in Deutschland nicht fündig wurden, entschlossen sie sich, die Lücke zu füllen. Mit ihrem Projekt bewarben sich die Herausgeberinnen auch beim Wettbewerb Wir ist Plural, den die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesverfassungsgericht zur Stärkung der Demokratie veranstalten. Inzwischen hat das „Kinderstark Magazin“ die zweite Runde des Wettbewerbs erreicht.

  • Foto: Sven Darmer / DAVIDS
    Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge an: cay.dobberke@tagesspiegel.de