Nachbarschaft
Veröffentlicht am 18.11.2022 von Cay Dobberke

Manchmal erzählen Menschen vor der Kamera im Gespräch mit Eva von Sahr sogar Dinge, von denen Verwandte oder Lebenspartner bis dahin gar nichts wussten. Die Interviewerin vermeidet allerdings kritische Fragen, die „jemanden in die Ecke drängen könnten“. Schließlich ist sie keine Journalistin, sondern als Biografin für Privatleute tätig. Vor fünf Jahren gründete sie ihr Unternehmen Dreh-Portrait.
Ihre „Passion für Biografien“ und ihre Neugierde führt Eva von Sahr auf die Kindheit zurück. Sie war 1963 als Tochter deutscher Auswanderer in Chile geboren worden, lernte dort Menschen aus verschiedensten Ländern kennen und hielt es für normal, mit diesen über ihre Herkunft und den Lebensweg zu reden. „Jeder von uns hat Herausforderungen, es gibt Höhen und Tiefen im Leben. Auch dies einzufangen, finde ich sehr spannend.“
Sie mache „keine Imagefilme“ für Firmen, betont die Produzentin. Die Hauptzielgruppe seien Familien und einzelne Personen. Oft bitten Angehörige darum, dass ein geliebter Mensch porträtiert wird. Rund 20 Videos hat Eva von Sahr bereits vielerorts in Deutschland gedreht. Dafür führt sie jeweils bis zu zehn Vorgespräche.
Die Interviews entstehen in der Regel zu Hause bei der Person, um die es geht, und teilweise auch bei gemeinsamen Spaziergängen. Zusätzlich können Fotos oder andere Dokumente eingefügt werden. Professionelle Kameraleute kümmern sich ums Bild, für den Schnitt sorgt später ein Cutter in einem Studio. „Ich muss mich von der Qualität von Handyvideos unterscheiden“, sagt Eva von Sahr. Ihre Filme dauerten anfangs je etwa 40 Minuten. Inzwischen hält sie eine ganze Stunde für besser. Wegen des großen Aufwands liegen die Preise bei einigen tausend Euro. „Wir sind in der Premiumklasse angekommen“, findet die Unternehmerin.
Nicht alle Gesprächspartner blicken auf ein langes Leben zurück. Einmal porträtierte Eva von Sahr einen 18-Jährigen, der kurz vor seinem Abitur stand. Das Video war ein Geschenk seiner Eltern. Zu einem Abschiedsfilm entwickelte sich dagegen das Treffen mit einem krebskranken Mann. Wenig später starb er, und auf Wunsch der Tochter hielt von Sahr die Trauerrede bei der Beisetzung.
Nach Deutschland war sie als 22-Jährige gekommen, um in Freiburg ein Lehramtsstudium für die Grundschule zu absolvieren. Danach unterrichtete sie an der „German Swiss International School“ in Hongkong sowie in München, Brüssel und von 1995 bis 2005 in Berlin. In Neu-Delhi bildete sie Lehrerinnen und Lehrer aus. Außerdem hat sich Eva von Sahr als Coachin ausbilden lassen. Zu mehreren der Ortswechsel kam es durch die Arbeit ihres Ehemanns Philipp als hochrangiger BMW-Manager.
Seit 2016 leben beide wieder in Berlin. An der Joan-Miró-Grundschule in Charlottenburg ist Eva von Sahr halbtags als Lehrerin tätig. Die Corona-Pandemie hat ihrer eigenen Firma nicht geschadet, im Gegenteil: „Es gibt mehr Anfragen denn je.“
Bereits vor rund einem Jahr haben wir in diesem Newsletter eine andere Unternehmerin vorgestellt, die ebenfalls biografische Videos dreht. Unseren Bericht über die ehemalige Fernsehjournalistin Johanna Schickentanz können Sie noch hier lesen.
- Foto: Cay Dobberke
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge an cay.dobberke@tagesspiegel.de.