Nachbarschaft

Veröffentlicht am 13.01.2023 von Cay Dobberke

Zehn Jahre lang hat Anne Schönharting zahlreiche Menschen in deren Charlottenburger Wohnungen fotografiert. Ihr Projekt „Habitat“ sei ein Gesellschaftsporträt des Bürgertums mit „ungewöhnlichen Personen in ungewöhnlichen Räumen“, sagt die Fotografin und Künstlerin. Ein Bildband ist soeben erschienen, bald folgt eine Ausstellung in Charlottenburg.

Mehrere Personen sind auf den Fotos gar nicht zu erkennen. Sie haben ihr Gesicht abgewandt, überdecken es mit langen Haaren oder tragen eine Maske. Der Bühnenbildner Bernd Skodzig verbirgt sich auf einem Bild hinter seinem großen Hund, auf einem anderen schaut er dagegen in die Kamera.

Es gibt keine erklärenden Texte im Buch, obwohl die Fotografin mehrstündige Vorgespräche geführt und sich für die Aufnahmen in der Regel einen Tag lang Zeit genommen hatte. Die Namen der Porträtierten stehen, sofern sie genannt werden durften, erst in einer Liste im Anhang. Für Schönharting „ging es nicht darum, wer am bekanntesten ist“. In einem Nachwort beschreibt die Fotografie-Kuratorin Inka Schube das Projekt und seine Geschichte.

Alles begann kurz vor dem Umzug der Galerie C/O Berlin aus dem Postfuhramt in Berlin-Mitte in das Charlottenburger Amerika-Haus am Bahnhof Zoo. Die Galerie bat Mitglieder der Fotoagentur Ostkreuz, zu denen Anne Schönharting gehört, mit Bildern für den neuen Standort zu werben. Schönharting bekam ein paar Tipps, wen sie porträtieren könnte. Danach wurde sie immer wieder weiterempfohlen und musste nicht lange suchen.

Die Bilder sollten ausdrucksstark, aber nicht unbedingt schön werden. Auf ihre Gestaltungsideen hätten die Abgebildeten oft „erstaunlich tolerant“ reagiert, erinnert sich die Fotografin. Zum Konzept gehörte die Konzentration auf ein künstlerisch-bürgerliches Ambiente. Armut oder andere Schattenseiten von Charlottenburg sind nicht zu sehen. Anders als in ihrer Jugend gebe sie sich aber nicht mehr der Illusion hin, „in einer klassenlosen Welt zu leben“, sagt Schönharting, die 1973 in Meißen geboren wurde.

Bei künftigen Projekten will sich Anne Schönharting wieder von der Beschränkung auf ein bestimmtes gesellschaftliches Milieu lösen. Früher hatte sie viele Reise- und Sozialreportagen für deutsche Magazine gemacht. Schon als 15-Jährige wusste Schönharting, dass sie Fotografin werde möchte. 1991 zog sie nach Berlin um, das für sie damals die „interessanteste Stadt“ Deutschlands war.

Im ersten eigenen Buch Das Erbe beschäftigte sich die Fotografin mit ihrer Familiengeschichte und dem Kolonialismus. Denn im Haus der Eltern, das sie nach deren Tod gemeinsam mit dem Bruder geerbt hatte, gab es ein „Afrikazimmer“. Es enthielt eine Sammlung des Urgroßvaters, der Verwalter einer Kakaoplantage im heutigen Äquatorialguinea war (lesen Sie dazu auch diesen Tagesspiegel-Bericht aus dem Juni 2021).

Schönharting wohnt in Pankow und findet diesen Bezirk stellenweise ähnlich bürgerlich wie Charlottenburg. In der City West ist sie häufig auch privat unterwegs. Ihr dortiges Projekt zu beenden, sei ihr schwer gefallen, sagt sie. Andererseits habe sie nach zehn Jahren gefunden, dass die Zeit für die Veröffentlichung gekommen sei. Neben dem Buch gab es im Herbst 2022 bereits eine „Habitat“-Ausstellung im Haus am Kleistpark in Schöneberg. 20 ihrer Bilder aus dem Buch zeigt die Künstlerin auf ihrer Webseite anneschoenharting.com.

  • Anne Schönhartings nächste Ausstellung Habitat im Dialog wird am Mittwoch, 8. Februar, um 18.30 Uhr in der Villa Oppenheim des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf eröffnet (Schloßstraße 55, Eintritt frei, bis 21. Mai, Di. bis Fr. 10–17 Uhr, Sa. und So. 11–17 Uhr).
  • Das Buch „Habitat Berlin-Charlottenburg“ mit 85 Bildern ist bei Hartmann Books erschienen und kostet inklusive Versand 74,49 Euro (ISBN 978-3-96070-091-3). Es kann auch direkt bei der Künstlerin bestellt werden. Für 320 Euro gibt es eine limitierte und signierte Edition mit einem zusätzlichen „Archival Pigment Print“ des Fotos, das Bernd Skodzig und seinen Hund zeigt.
  • Fotos: Cay Dobberke, Anne Schönharting

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge an cay.dobberke@tagesspiegel.de.