Nachbarschaft

Veröffentlicht am 14.04.2023 von Cay Dobberke

Als „die wohl älteste Newcomerin der Stadt“ bezeichnet sich Ellen Esser. Die 80-Jährige ist eine ehemalige Schauspielerin, startet jetzt aber als Sängerin neu durch. Ihr deutschsprachiges Repertoire reicht von Schlagern der 1950er Jahre wie „Pack die Badehose ein“ von Cornelia Froboess über Lieder von Hildegard Knef und Reinhard Mey bis zu Hits der Neuen Deutschen Welle, die unter anderem von der Band „Ideal“ stammen. Hinzu kommen Songs aus der Nachwendezeit – zum Beispiel von Judith Holofernes, Max Raabe und Antje Schomaker.

Aber Esser singt nicht nur. Die gebürtige Wilmersdorferin erzählt bei ihren Auftritten auch aus der Berliner Stadtgeschichte und von eigenen Erlebnissen aus der Entstehungszeit der Lieder. Gerne erwähnt die Künstlerin, wie sie als Kind „amerikanische Zigarettendeckel getauscht“ hatte, 1963 die Rede des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg hörte oder einmal mit dem „Ton Steine Scherben“-Sänger Rio Reiser auf der Bühne des Berliner Forum-Theaters stand.

Ihr erstes eigenes Konzert gab Ellen Esser im Februar in der Charlottenburger Kunst- und Event-Bar „ART Stalker“. Im April und September gastiert sie wieder dort, weitere Konzerte sollen folgen. Die Mitglieder ihrer sechsköpfigen Band suchte und fand sie über Anzeigen. „Ich habe immer gerne gesungen“, erinnert sich Esser. Sie war Mitglied bei „Chorus Berlin“ und führte mit dem Ensemble die „Carmina Burana“ von Carl Orff in der Philharmonie auf. Doch erst jetzt tritt sie selbst in den Vordergrund und schwärmt von der „Erfüllung meiner Wünsche“.

Eines ihrer Ziele lautet, später einmal im Charlottenburger Café-Theater Schalotte aufzutreten und danach vielleicht auch in der Bar jeder Vernunft in Wilmersdorf. Noch hat sie sich darum nicht bemüht, weil sie nach eigener Einschätzung zunächst bekannter werden muss, um genügend Publikum in diese Bühnen zu locken. Das Singen ist für Ellen Esser mehr als ein Hobby: „Ich arbeite den ganzen Tag daran.“ In der Nähe des Kurfürstendamms nimmt sie seit Jahren schon Gesangsunterricht.

Ihre Eltern waren die Schauspieler:innen Eleonore und Paul Esser. In ihrer eigenen Karriere trat sie „in fast allen Theatern West-Berlins“ auf – darunter Hansa-Theater, Schlosspark-Theater und Grips-Theater. Oft war sie jedoch unzufrieden, „weil ich immer die Hauptrolle spielen wollte“. Dazu kam es nie.

Mit Ende 20 entschied sich Ellen Esser, nur noch gelegentlich als Schauspielerin zu arbeiten. Sie kündigte eine Anstellung am Bremer Stadttheater, holte das Abitur nach, machte eine Weltreise und brachte zwei Kinder zur Welt. Später schrieb sie Stücke für ein Off-Theater und mehrere Romane, von denen sie allerdings nur einen per „Self Publishing“ im Eigenverlag herausbrachte. Im Kunsthaus Tacheles in Berlin-Mitte veranstaltete sie „Lesungen unentdeckter Theaterstücke“. Ihren Lebensunterhalt verdiente Esser hauptsächlich außerhalb der Kulturszene.

Aktuell produziert sie auch kurze komödiantische Videos. Diese „Ellen Esser Shorts“ sind online bei YouTube, Facebook und Instagram zu finden. Als Sängerin, Autorin und Malerin stellt sich die Künstlerin auf ihrer Webseite ellenesser.com vor.

  • Am Donnerstag, 20. April, ab 20 Uhr treten Ellen Esser und ihre Band mit einem „gut gewürzten Berlin-Programm“ bei ART Stalker an der Kaiser-Friedrich-Straße 67 auf. Im Online-Vorverkauf sind Tickets für 13,10 Euro unter art-stalker.de oder für 14,61 Euro bei Eventim erhältlich.
  • Foto: Cay Dobberke
  • Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge an cay.dobberke@tagesspiegel.de.