Nachbarschaft
Veröffentlicht am 12.05.2023 von Cay Dobberke

Über die ehemalige Stadtautobahn A104 lief ein Fuchs, als wir uns in dieser Woche mit dem Autor und Stadthistoriker Andreas Jüttemann vor dem gesperrten Tunnel an der Schlangenbader Straße trafen. Wenig später kam ein Spaziergänger vorbei, der die autofreie Fahrbahn als Weg vom Breitenbachplatz zur Schildhornstraße nutzte. Seit rund drei Wochen ruht dort der Verkehr wegen Brandschutzmängeln im Tunnel.
Dessen Wiedereröffnung nannte die Senatsverkehrsverwaltung im April „fraglich“, weil die Sanierungskosten auf 30 Millionen Euro geschätzt würden. Wenige Tage später löste Manja Schreiner (CDU) die vorherige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) ab. Ob dies etwas an der Skepsis der Verwaltung ändert, ist noch unklar.
Besonders die Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz nennt Jüttemann als Beispiel für hässlichen Straßenbau nach dem Konzept der „autogerechten Stadt“. Deshalb begrüßt er den geplanten Abriss dieses Betonungetüms.
Er hofft auch auf neue Nutzungskonzepte für den Tunnel, hat selbst aber noch keine Idee, was man daraus machen könnte. Im Gegensatz zu manchen Bezirkspolitiker:innen spricht sich Jüttemann nicht für einen Rückbau der gesamten früheren A104 inklusive des Abschnitts zwischen dem Hohenzollerndamm und der Mecklenburgischen Straße aus. Manche Stadtautobahnen seien auch für den Verkehr der Zukunft mit E-Mobilität wichtig. Nur „aufgeständerte Autobahntrassen durch dicht besiedelte Gebiete“ sollte es nicht mehr geben, findet er.
Für stadtplanerische Entwicklungen interessiert sich Jüttemann immer wieder. In seinem Anfang 2021 erschienenen Buch „Berlin (West) – eine unwirtliche Stadt?“ schilderte er den Bau von Autobahnen und Großsiedlungen. Er verfasste auch andere Bücher zur Regionalgeschichte, darunter eines über die frühere Spionagestation auf dem Teufelsberg. In deren Ruinen bot Jüttemann vor zwölf Jahren die ersten Führungen an.
Die A104 kennt er seit seiner Jugend, weil er in Charlottenburg geboren wurde und in Zehlendorf aufwuchs. Später studierte er Psychologie und Urbanistik. Derzeit pendelt Jüttemann zwischen Berlin und Magdeburg, wo er Sozialwissenschaftliche Technikforschung an der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt.
Sein Buch über die Berliner Stadtentwicklung erklärt, wie die Senatsbauverwaltung das Bezirksamt Wilmersdorf einst von der „Notwendigkeit und der Unumgänglichkeit der Autobahntrasse in Hochlage“ quer über den Breitenbachplatz und durch ein Kleingartengelände überzeugte.
Zu dem 600 Meter langen Wohnkomplex über dem Tunnel an der Schlangenbader Straße (Spitzname: „Schlange“) erfährt man, dass vor dem Bau schon die Idee gegeben hatte, Bahngleise zu überbauen. Die Umsetzung sei vor allem daran gescheitert, dass „die S-Bahn- und Eisenbahnstrecken im Westteil der Stadt aufgrund des Viermächteabkommens unter der Ägide der (DDR-)Reichsbahn standen“.
Das Projekt „Wohnpark Wilmersdorf“ – so der ursprüngliche Name der Autobahn-Überbauung – begeisterte laut Jüttemann zuerst den bis 1972 amtierenden SPD-Bausenator Rolf Schwedler. Dessen Nachfolger Klaus Riebschläger (ebenfalls SPD) habe von „einem der kühnsten Bauvorhaben“ geschwärmt, das „die Tradition der beispielhaften Bauleistungen Berlins fortzusetzen verspricht“.
Doch schon wenige Jahre nach der Fertigstellung im Jahr 1980 sie die Wohnanlage als „städtebauliche Fehlleistung“ in die Kritik geraten, steht in dem Buch. Andererseits hätten West-Berliner Architekt:innen wie Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte sogar vorgeschlagen, die Avus und die damals geplante Westtangente in den Rehbergen zu überbauen.
Beim Treffen am gesperrten Tunnel staunten wir und Jüttemann jetzt darüber, dass darin noch immer Licht brennt. Eine Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung sagte dazu, die Beleuchtung werde über eine „Mittelspannungsstation“ geschaltet. Und diese versorge auch weiterhin benötigte Betriebsräume. Außerdem sei eine Notbeleuchtung im Tunnel nötig, um „das Bauwerk selbst unterhalten zu können“. Derzeit prüfe die Verwaltung jedoch gemeinsam mit der Stromnetz Berlin GmbH, „welche Optionen zur Reduzierung der Beleuchtung möglich sind“.
- Das Buch Berlin (West) – eine unwirtliche Stadt? von Andreas Jüttemann ist im Verlag Berlin-Brandenburg erschienen und kostet 20 Euro (ISBN 978-3-947215-68-3).
- Fotos: Cay Dobberke, promo
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