Intro
von Nele Jensch
Veröffentlicht am 18.01.2018
es gibt sie noch, die berühmten Freiräume, die Xhain in Innen- und Außenwahrnehmung prägen. Das wohl größte urbane Experiment der Stadt ist der Holzmarkt: Dort, wo früher einmal die legendäre Bar 25 stand, wird mittlerweile nicht nur wild gefeiert. 230 Menschen arbeiten auf dem Holzmarkt: in der Bäckerei „Backpfeife“, im Restaurant „Katerschmaus“ (zugegebenermaßen eher im hochpreisigen Segment angesiedelt), in einer Kita und einem Dorfcafé – denn der Holzmarkt versteht sich als Mikrokosmos, als „Dorf“ von und für Hedonisten, die mittlerweile erwachsen genug sind, um ihre Vision wirtschaftlich nachhaltig zu betreiben.
Dass es ein Projekt wie den Holzmarkt überhaupt gibt, sorgt weltweit für Erstaunen: Es grenzt in Zeiten von Wohnraummangel und Gentrifizierung an ein Wunder, dass Bauland mitten im Stadtzentrum an eine kleine Genossenschaft vergeben wird, während anderswo auf Rendite getrimmte Büro- und Wohntürme entstehen. Auch auf dem Holzmarktgelände sollte ursprünglich ein „Mediaspree“-Hochhaus gebaut werden; die Genossenschaft bekam eine Chance, weil sich die Xhainer*innen gegen Mediaspree wehrten und einen Bürgerentscheid durchsetzten. Statt eines weiteren Stücks zugebauten Spreeufers gibt es jetzt einen Uferweg mit Bänken und einen Marktplatz, offen für jede*n. Denn das Projekt orientiert sich am Gemeinwohl: „Die Nutzung interessiert uns, nicht die Immobilie“, sagte Juval Diezinger, einer der beiden Vorstände der Holzmarkt-Genossenschaft, meinem Kollegen Ralf Schönball.
Und auch das gibt es in Kreuzberg: Einen Club, der (noch) nicht von Verdrängung bedroht ist, sondern einfach so Geld braucht. Nach gerade mal zweieinhalb Jahren droht dem „Jonny Knüppel“ das Aus. Dabei ist der Club, ebenso wie das Holzmarktgelände, mehr als nur ein Club: Neben den Dancefloors gibt es Fahrrad- und Künstlerwerkstätten sowie kuriose Bauten, alles selbst gebaut, irgendwie. „Einfach mal machen“, hieß die Devise, erzählte Mitbetreiber Johannes Heereman meinem Kollegen Andreas Hartmann. Jonny Knüppel ist auch eine Utopie: Man will ohne Hierarchien auskommen, ohne Chefs, ohne kommerzielle Absichten, auch das eine Parallele zum Holzmarkt. Seit Herbst 2017 ist das Jonny Knüppel geschlossen, aktuell wird umgebaut: Im letzten Sommer brannte ein Kabel durch, ein Container kokelte, Feuerwehr und Polizei rückten an. Jetzt liegen diverse Lärm- und Brandschutzauflagen vor, an einer Brandschutzmauer bauen die Betreiber*innen bereits. Um alle Auflagen erfüllen zu können, braucht der Club mindestens 60.000 Euro, besser wären 100.000, die man jetzt über eine Crowdfunding-Kampagne zusammen bekommen will.
Doch nicht nur die Finanzierung des Umbaus macht dem Team Sorgen: Das Jonny Knüppel befindet sich auf der Lohmühleninsel, in illustrer Nachbarschaft zu Badeschiff, Club der Visionäre und Freischwimmer. Die Lage an der Mündung des Landwehrkanals in die Spree ist lukrativ, den Großteil des Geländes habe ein Investor aufgekauft, der Mietverträge nur noch für zwei Jahre verlängert, erzählt Jakob Turtur vom Jonny Knüppel-Team; er glaubt, der neue Eigentümer habe Interesse daran, „Teil von Mediaspree“ zu werden. „Vielleicht war es am Ende nur ein naiver Versuch, einen besonderen Ort zu schaffen“, sagt Turtur. „Vielleicht werden wir irgendwann sagen: Es war schön, aber das war es jetzt.“ Hoffen wir mal, dass es nicht soweit kommt, und uns das wilde, freie Kreuzberg erhalten bleibt.
Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter leute-n.jensch@tagesspiegel.de