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von Nele Jensch

Veröffentlicht am 19.07.2018

Über die Ver- beziehungsweise Entmietungspraktiken der ALW-Immobiliengruppe (zu deren Firmengeflecht unter anderem die BOW 1, BOW 2 und BOW 3 gehören) haben wir hier bereits berichtet. Letzte Woche tat das auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) (allerdings hinter der Paywall), mit guten Grund: Die Hauskäufe der ALW-Gruppe werden zu einem nicht unerheblichen Anteil von der bayrischen Sparkasse Rottal-Inn finanziert; die ALW-Gruppe hat ihren Sitz in Pfarrkirchen. Auch der Kauf des Gebäudes in der Reichenberger Straße 55, das die BOW 3 2016 für 3,35 Millionen Euro erstand, wurde zum allergrößten Teil mit Mitteln der bayrischen Sparkasse ermöglicht.

In der Reichenberger wohnt auch Patrick Neumann, der bei der Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez aktiv ist und seit dem Kauf durch die BOW 3 versucht, die befürchtete Umwandlung seines Mietshauses in Eigentumswohnungen zu verhindern. Er und seine Nachbar*innen haben den Verein Reichenberger 55 e.V. gegründet und würden das Haus gerne selbst gemeinwohlorientiert bewirtschaften. Sie schrieben auch an die Sparkasse Rottal-Inn und wollten wissen, „wie die Finanzierung durch Ihren Kredit mit dem Gemeinnützigkeitsprinzip der Sparkassen vereinbar ist.“ (Mal ganz abgesehen davon, warum sich eine Regionalsparkasse an Immobilienkäufen im 600 Kilometer entfernten Berlin beteiligt.)

Denn in Häusern, die von der ALW-Gruppe gekauft werden, haben Mieter*innen bald nichts mehr zu lachen: In der SZ berichtet eine Kreuzberger Mieterin von Ratten, die aus der Toilette sprangen, Feuchtigkeit und einer defekten Klingel – sie habe ein halbes Jahr warten müssen, bis etwas geschah. Einem anderen Mieter soll ALW-Geschäftsführer Andreas Bahe gedroht haben: „Ich teile Ihnen mit, dass Sie für uns als Mieter massivst unerwünscht sind, da wir Ihre Wohnung anderweitig nutzen wollen.“ An den Brief könne er sich nicht erinnern, sagte Bahe der SZ, sollte die Passage darin gestanden haben, sei sie ein Fehler gewesen. Neumann und seine Nachbar*innen erhielten von der bayrischen Sparkasse nie eine Antwort; auch Nachfragen der SZ liefen ins Leere.

Allerdings haben Neumann und die übrigen Bewohner*innen der Reichenberger 55 jetzt noch ein ganz anderes Problem (und eine Antwort auf die Frage, was die BOW 3 mit ihrem Haus vorhat): Auf der Internetseite des Bundeskartellamts steht unter „Laufende Fusionskontrollverfahren“, dass die Deutsche Wohnen (DW) Mehrheitsbeteiligungen an BOW 2 und BOW3 erwerben möchte – am 11.7. wurde das Verfahren freigegeben. Die DW ist als Vermieterin mindestens ebenso unbeliebt wie Bahe, aber für Neumann und seine Nachbar*innen kommt es sogar noch schlimmer: „Dank der guten Vernetzung von Bizim Kiez wissen wir inzwischen, dass die DW scheinbar nur das Kapital gibt und ein anderer ‚Entmieter‘ die schmutzige Arbeit macht“, sagte mir Neumann.

Dabei soll es sich nach Informationen von Bizim Kiez um die Accentro Real Estate AG handeln, die nach eigenen Angaben „marktführend in der Wohnungsprivatisierung in Deutschland“ ist. In einer Pressemitteilung von Accentro heißt es, man habe sich an einem Portfolio mit „26 Wohnhäuser in zentralen Lagen Berlins“ beteiligt und sich dadurch „eine umfangreiche Pipeline an Wohnungen für das Privatisierungsgeschäft“ gesichert. Konkrete Adressen wie etwa die Reichenberger Straße 55 werden nicht genannt, aber eine entsprechende Nachfrage von Bizim Kiez blieb bisher ohne Dementi.

Immerhin habe sich der Widerstand gegen Bahe und die BOW 3 gelohnt, meint Neumann: „Die Mieter*innen von etwa 40 aufgekauften Häusern haben die ALW-Gruppe von ihren Höfen verjagt.“ Der Verein Reichenberger 55 bereitet bereits Gespräche vor, um mit der DW über eine mögliche gemeinwohlorientierte Nutzung zu verhandeln. Wie viel sich durch die Übernahm für die Mietenden ändert, wird sich zeigen: „Die BOW ist jetzt die DW, Andreas Bahe heißt jetzt Jacopo Mingazzini [Geschäftsführer von Accentro, Anm. d. Redaktion], aber die Sparkasse Rottal-Inn steckt noch drin“, fasst ein Vertreter des Reichenberger-Vereins zusammen.

Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter leute-n.jensch@tagesspiegel.de