Intro

von Nele Jensch

Veröffentlicht am 21.03.2019

„Kamil Mode“ ist ein Kleidergeschäft am Kottbusser Damm, das seit 16 Jahren vor allem Frauen aus der türkischen und arabischen Community mit Kleidung versorgt. Und es ist akut von Verdrängung bedroht: Inhaber Hassan Qadri zahlt bereits 1.200 Euro Miete für 61 Quadratmeter und wäre sogar bereit, noch mehr zu zahlen. Doch sein Vermieter Thorsten Cussler besteht darauf, dass Qadri und Kamil Mode gehen müssen – weil er das Haus sanieren und „schicker“ machen will. Cussler stellt sich taub für Gesuche der Qadris, der Nachbarschaft, von Initiativen wie „Bizim Kiez“ und „OraNostra“ und der ebenfalls intervenierenden Politik (wir berichteten).

Vergangene Woche begann die Verhandlung des Falls vor dem Landgericht Berlin, Cussler will die Räumung gerichtlich erzwingen. Die Qadris wurden von zahlreichen Unterstützenden begleitetet, die jedoch größtenteils nicht in den Saal passten. Geholfen hat die Rückendeckung kaum: Der Richter ließ laut Berliner Zeitung durchblicken, dass die Kündigung wohl rechtlich nicht anfechtbar sei, denn Cussler hat den Qadris fristgerecht zum 31.12.18 gekündigt. Qadri führte zwar Baukosten in Höhe von 35.000 Euro an, die er für die Zusage, noch 20 Jahre im Geschäft bleiben zu können, vor 13 Jahren selbst zahlte. Doch im Mietvertrag, so der Richter, stehe, dass der Mieter bauliche Veränderungen selbst zahlen müsse.

Im Kiez ist die Wut groß über die Verdrängung von Kamil Mode, benannt übrigens nach dem 22-jährigen Sohn von Hassan Qadri und seiner Frau Joanna. Swenja Ritchie von der Gewerbetreibenden-Initiative OraNostra sagte mir, dass in letzter Zeit immer mehr Geschäfte rund um das Kottbusser Tor verdrängt würden, allein zehn seien es in den letzten zwei Jahren gewesen – und fast alle der verdrängten Inhaber*innen hätten einen Migrationshintergrund.

Qadri bekommt nun erneut Unterstützung aus der Bezirkspolitik, und zwar von Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne): Auf Twitter kündigte dieser an, das „erste Protestparklet gegen Mietenwahnsinn“ sei genehmigt worden. Ein Provisorium ist bereits vor Kamil Mode auf dem Kottbusser Damm installiert – nicht auf dem Bürgersteig, sondern auf dem Parkstreifen. Kollege Stephan Wiehler ist von der weiteren Verbreitung der Parklets im Stadtbild übrigens so gar nicht überzeugt, das Netzwerk fahrradfreundliches Friedrichshain-Kreuzberg hingegen sehr. Am Freitag will die Kiezinitiative Kottbusser Damm das Protest-Parklet offiziell einweihen und gegen die Kündigung der Qadris demonstrieren – los geht es um 11 Uhr.

Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter leute-n.jensch@tagesspiegel.de