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von Nele Jensch

Veröffentlicht am 16.05.2019

grüne Punkte und gelbe Sitzgelegenheiten sorgen für großen Wirbel –  und eine neue Idee für die Bergmannstraße könnte noch mehr Aufsehen in Sachen Verkehrswende erregen: Nach der Missbilligung seiner Amtsführung durch die BVV vergangene Woche (wir berichteten) hat Stadtrat Florian Schmidt (Grüne) angekündigt, die Evaluation der „Begegnungszone Bergmannstraße“ ein halbes Jahr früher als geplant zu beginnen. Ab August sollen die Anwohnenden über die dauerhafte Gestaltung der Straße mitentscheiden. „Die aktuellen kontroversen Diskussionen um die verschiedenen Maßnahmen und Elemente der Testphase in der Bergmannstraße zeigen, wie wichtig und emotional das Thema Verkehrswende ist. Die Bürger*innen möchten bei der Umgestaltung ihres Umfeldes mitreden“, so Schmidt vergangene Woche.

Was die Anwohnenden wohl von der neuesten Idee einiger Grünen halten, aus der Bergmannstraße eine Fußgängerzone zu machen? Genau damit könnte Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Partei im Abgeordnetenhaus, „gut leben“, das aktuelle Konzept findet sie „nicht radikal genug“, wie sie meinen Checkpoint-Kolleg*innen sagte (den entsprechenden Beitrag können Sie hier lesen, wenn Sie die Premium-Version unseres täglichen Berlin-Newsletters bestellen – mehr zu den Änderungen beim Checkpoint lesen Sie weiter unten).

Streit mit anderen Parteien ist dabei vermutlich vorprogrammiert: Sowohl die Parklets als auch die über Ostern auf der Straße angebrachten Punkte, die der Verkehrsberuhigung dienen sollen, wurden teilweise heftig kritisiert – letztere vor allem wegen der hohen Anbringungskosten, die Parklets wegen wegfallender Parkplätze und darauf lärmender Nutzer*innen. Bei aller Kritik sollte nicht vergessen werden, dass sich auch viele Xhainer*innen über die Stadtmöbel freuen, auf denen sich jetzt im Frühling prima die Sonne genießen lässt (wie zum Beispiel die Twitterin „Café Rizz“ zu berichten weiß). Um Ärger entgegen zu wirken verspricht das Bezirksamt, gegen Ruhestörungen anzugehen: Wenn es abends Halligalli auf den Parklets gibt, können Anwohnende ab jetzt eine Hotline anrufen, um Kiezläufer*innen zu alarmieren, die für die Einhaltung der Nachtruhe sorgen und Sachbeschädigungen unterbinden sollen. Telefon:  0178/8043463 (Mo-Do 16-22 Uhr, Fr-So 18-2 Uhr).

Nachahmer*innen haben die Parklets übrigens auch schon gefunden: So gab es Friedrichshain bisher kein Parklet – zumindest kein offizielles. Kollege Robert Klages hat aber ein Desperado-Parklet entdeckt: Vor einem Asia-Restaurant, nicht auf der Straße, sondern dem Gehweg – aber trotzdem für alle, nicht nur für Kund*innen, wie die Betreiber*innen auf Nachfrage erklärten.

Die Kreuzberger Parklets sind übrigens recyclebar: Sollten sich die Gegner*innen durchsetzen und die Test- nicht in eine Permanentphase übergehen, könnten die Stadtmöbel anderswo in Berlin wieder aufgebaut werden. Gut so, schließlich haben die insgesamt 17 Parklets inklusive aller Nebenkosten wie Lieferung und Aufbau 428.212 Euro gekostet. Beides geht aus der Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Bernd Schlömer hervor: „Für die Planung und Auswahl der verwendeten Module war maßgebend, dass diese auch nach Abschluss der Testphase in der Bergmannstraße in anderen Berliner Straßenräumen wieder einsetzbar sind“, heißt es darin. Bezirkssprecherin Sara Lühmann erklärt auf Nachfrage, dass es zwar noch keine konkreten Pläne für die Parklets gebe, sollte die Begegnungszone in der Bergmannstraße scheitern – aber genug Interessent*innen. „Es wird sich sicher eine Anschlussverwendung finden“, so Lühmann.

Möglich allerdings, dass sich auch Bürger*innen und Politiker*innen in anderen Stadtteilen von den Parklets gestört fühlen beziehungsweise lieber Platz für Autos haben möchten. So wie die Xhainer SPD: Die Sozialdemokrat*innen kritisieren, dass es sich bei der Begegnungszone Bergmannstraße um kein verkehrspolitisches Gesamtkonzept handle, bei dem auch die umliegenden Quartiere miteinbezogen würden, wie Corinna von Bodisco letzte Woche berichtete. Auch auf Twitter gibt es von der SPD Friedrichshain-Kreuzberg Gegenwind in Sachen Verkehrswende: Der Fraktionsvorsitzende der Lichtenberger SPD, Kevin Hönicke, betonte dort, dass er für mehr Radwege sei und dass man Falschparker*innen getrost melden könne. Ein anderer User antwortete, dass er das regelmäßig tue, das Ordnungsamt aber nur selten abschleppen würde: „Die Partei des zuständigen Ordnungsstadtrates sagt, man müsse vor allem auf die Verhältnismäßigkeit achten trotz Regelfällen.“ Gemeint sind die Xhainer SPD und Stadtrat Andy Hehmke. Und was antwortet die SPD Xhain (offizieller Twitter-Kanal)? „So steht es im Grundgesetz: Artikel 20“. Ludger Koopmann, Bundesvorstand des ADFC, kommentierte daraufhin in Richtung SPD: „Entschuldigung, aber Ihre Auslegung des GG ist das Dämlichste was ich je dazu gelesen habe.“ (die ganze Chose hat Kollege Klages auch für den Leute-Newsletter Lichtenberg zusammengefasst).

Bald wird es allerdings auf einigen Straßen Xhains mal andersherum sein und Fahrräder werden auf Parkstreifen stehen, die bisher für Autos reserviert waren: Laut einer Ausschreibung plant der Bezirk insgesamt 138 neue „Fahrradabstelleinrichtungen“ – genauer gesagt hier:

  • Adalbertstraße zwischen Kottbusser Tor und Naunystraße (22 Fahrradbügel)
  • Graefestraße zwischen Urbanstraße und Kottbusser Damm (54 Fahrradbügel)
  • Markgrafenstraße zwischen Rudi-Dutschke-Straße und Zimmerstraße (61 Fahrradbügel)
  • Schlesische Straße zwischen Falckensteinstraße und Taborstraße (24 Fahrradbügel)
  • Schönleinstraße zwischen Böckhstraße und Lachmannstraße (16 Fahrradbügel)

Die Fahrradbügel „sollen laut BVV-Beschluss vom März 2018 auf die Fahrbahn (Parkstreifen) gestellt werden“, teilt Bezirkssprecherin Lühmann mit. Viel Zündstoff für die nächsten Wochen also – und viele wichtige Signale hin zu einer neuen Gewichtung der Mobilität in Xhain.

Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter leute-n.jensch@tagesspiegel.de