Intro

von Nele Jensch

Veröffentlicht am 29.08.2019

in Sachen Verkehrswende macht Xhain so schnell keiner was vor – fragen Sie mal Ihre Freund*innen aus anderen Bezirken! Luft nach oben ist natürlich immer noch reichlich da, und Recht machen kann man es sowieso nicht allen. Aktuelles Beispiel: Die vergangene Woche in der Wrangelstraße aufgestellten Diagonalsperren an den Kreuzungen mit der Falckenstein- und der Cuvrystraße, die den Durchgangsverkehr minimieren sollen.

Gewünscht hatten sich das seit Jahren Anwohnende, denn die Wrangelstraße wurde bisher gerne als Abkürzung genutzt, um die viel befahrene Schlesische Straße zu umgehen. Für Anwohner*innen resultierte daraus nicht nur ein hoher Lärmpegel, sondern natürlich auch Gefahren; im Wrangelkiez gibt es mehrere Grundschulen und zahlreiche Kitas, und an die Schrittgeschwindigkeit, die in dem teilweise verkehrsberuhigten Bereich eigentlich gilt, halten sich viele Autofahrende nicht. Vielleicht bleiben die Poller auch nicht die letzte Maßnahme: Der Senat hat eine Studie in Auftrag gegeben, die Möglichkeiten für einen gänzlich autofreien Wrangelkiez prüft – auch das ein ausdrücklicher Wunsch von Anwohnenden-Initiativen, inbesondere von „Autofreier Wrangelkiez“.

Doch nicht alle freuen sich: So entstand die Gegen-Initiative „Wrangelkiez Autofrei? Wir wehren uns!“. Diese hat „große Befürchtungen“ bezüglich des Verkehrsberuhigungskonzepts: „Ein autofreier Kiez wird unbestritten dazu führen, dass sich viel verändert. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Veränderungen hier nur den Besserverdienden gut tun“, schreibt Initiatorin Daiana Domke. Denn neben den Belastungen für Gewerbetreibende bedeute eine autofreie Wrangelstraße eine Wertsteigerung der Immobilien im Kiez – Domke vermutet „eine ganz gezielte Kiezaufwertung, die sich alteingesessene Berliner und Kreuzberger nicht leisten können sollen“.

Angesichts der Maßnahmen der Bezirkspolitik in Sachen Vorkauf und Kampf gegen Verdrängung (siehe auch „Namen & Neues“ weiter unten im Newsletter) klingt das allerdings ein bisschen nach Verschwörungstheorie. Wenn der diese Woche so viel und kontrovers diskutierte Vorschlag von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) zum Mietendeckel wirklich kommt, dürften sich die meisten Bedenken ohnehin erstmal erledigt haben. Die Bezirksregierung sieht in Lompschers Plänen einen Schritt in die richtige Richtung: „Natürlich ist es erstmal ein Entwurf und viele Dinge sind noch nicht geklärt“, sagt Stadtrat Florian Schmidt (Grüne). Daher könne er das Konzept noch nicht beurteilen; es sei aber ein wichtiges Signal: „Es gibt kein Grundrecht auf überhöhte Mieten“, so Schmidt.

Zurück zur Poller-Bilanz: Die fällt bei den Anwohnenden laut Berliner Morgenpost durchwachsen aus: Es sei seit der vergangenen Woche weder leiser geworden, noch führen die Autos langsamer, beklagt ein Anwohner. Ein Kita-Leiter freut sich zwar grundsätzlich über den Versuch, den Verkehr zu beruhigen, doch bisher führen die Autos nach wie vor „mit Karacho“ an den Kitas vorbei – er hält Blitzgeräte für eine bessere Maßnahme gegen Raser*innen. In den sozialen Medien ist aber durchaus auch Lob zu lesen: Von „Liebe auf den ersten Blick“ für die Poller ist dort zum Beispiel die Rede; ein anderer Twitter-User freut sich, dass „der Lärmpegel drastisch gesunken“ sei.

Ein komplett autofreier Wrangelkiez hätte übrigens zumindest einen garantierten Vorteil: Die Diagonalsperren könnten dann nicht mehr zum Falschparken missbraucht werden, was letzte Woche bereits geschah, wie die Initiative „Autofreier Wrangelkiez“ auf Twitter dokumentiert. Bürgermeisterin Monika Herrmann kommentiert: „Diese Unverschämtheiten radikalisieren die Leute zunehmend. Und es werden immer mehr autofreie Kieze gefordert werden.“ Und Stadtrat Schmidt droht mit den bereits in der Bergmannstraße erprobten „Kreuzberg Rocks“ (die mittlerweile wieder entfernten Findlinge zur Verkehrsberuhigung, Sie erinnern sich).

Apropos Bergmannstraße: Dort werden die Parklets ab dem 23. September abgebaut – darüber dürfte sich so manche*r Kritiker*in freuen. Leider werden die mobilen Sitzgelegenheiten nicht durch etwas „Besseres“ ersetzt, sondern einfach wieder zu schnöden Autoparkplätzen. Auch der Durchgangsverkehr dürfte wieder zunehmen. Die Initiative „RadXhain“ will das nicht hinnehmen und sammelt Unterschriften für einen Einwohner*innenantrag an die BVV: Darin wird die Bezirkspolitik unter anderem aufgefordert, den Bergmannkiez vom Durchgangsverkehr zu befreien, geschützte Radstreifen einzurichten und die Parklets zu erhalten, „bis neue Maßnahmen umgesetzt werden“. Falls Sie Unterschriften sammeln möchten: Hier geht’s zum Download. Und Sie sehen: Es gibt wirklich noch Einiges zu tun.

Übrigens: Bevor sie abgebaut werden, werden die Parklets ab dem 1.9. noch mal zur Freiluftgalerie und mit den Ergebnissen der Bürger*innenbefragung zur Begegnungszone Bergmannstraße geschmückt. Parallel läuft auch eine Onlinebeteiligung, bei der die Ergebnisse kommentiert und bewertet werden können. Kollegin Corinna von Bodisco teasert schon mal an.

Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter leute-n.jensch@tagesspiegel.de.