Intro
von Nele Jensch
Veröffentlicht am 07.11.2019
am Samstag, den 9. November, jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal – gerade für unseren Bezirk, der nach der Wende zusammenwuchs, ein wichtiges Datum. Deshalb begegnen Ihnen in diesem Newsletter immer wieder Themen von 1989 – etwa im Nachbarschafts-Interview, für das ich mit dem SPD-Politiker Sven Heinemann gesprochen habe, der einen Foto- und Interview-Band zur Wendezeit in Friedrichshain-Kreuzberg herausgegeben hat. Und davon können Sie sogar ein Exemplar gewinnen, ebenso wie Konzerttickets für „Tropical Fuck Storm“. Die haben zwar nichts mit der Wende zu tun, machen aber tolle Musik – und das verbindet ja auch (mehr dazu in der „Kultur“ weiter unten).
„Moviemento“ von Verdrängung bedroht. Zunächst aber eine aktuelle Meldung aus Kreuzberg, die auf ihre Weise auch geschichtsträchtig ist: Wer kennt (und liebt) es nicht, das älteste Kino Deutschlands? Die Rede ist natürlich vom „Moviemento“ am Kottbusser Damm, das mit Independent-Filmen, Festivals, Schulkino und zahlreichen Veranstaltungen aufwartet. Nun ist das Moviemento akut bedroht: Mitte Oktober erfuhren die Macher*innen, dass die Räume, in denen sich das Kino seit 1907 befindet, verkauft werden sollen. Der angebotene Preis sei viel zu hoch für eine wirtschaftliche Miete – „die einzige Chance, das älteste Kino Deutschlands zu retten, ist, die Räume selbst zu kaufen“, schreibt das Moviemento. „Uns liegt ein Angebot vor für den Preis von 1.85 Millionen, mit Nebenkosten sind das dann circa 2 Millionen, die wir brauchen“, erzählt Geschäftsführer Wulf Sörgel. Und weil so viel Kleingeld natürlich nicht in der Kinokasse klimpert, wurde dafür am Dienstag eine Crowdfunding-Kampagne gestartet: 400.000 Euro sind bereits im Vorfeld zusammen gekommen, 1,6 Millionen müssen also gesammelt werden. In den ersten beiden Tagen des Crowdfundings wurden bereits über 20.000 Euro gespendet.
Politik sagt Unterstützung zu. Das Moviemento mobilisiert nicht nur in finanzieller Hinsicht: „Wir haben schon mit Baustadtrat Florian Schmidt, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und dem Leiter des Senatorenbüros Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Andreas Prüfer, gesprochen“, berichtet Sörgel. Alle hätten ihnen Unterstützung zugesagt, weitere Gespräche stehen an. „Das Moviementokino befindet sich in einem Haus, dass zur auf Verdrängung basierenden Profitmaximierung aufgeteilt und weiterverkauft wurde“, erklärt Stadtrat Schmidt auf Nachfrage. Er rechne mit viel Solidarität aus ganz Berlin und Deutschland.
Vorkauf nicht möglich. Obwohl das Gebäude am Kottbusser Damm 22 im Milieuschutzgebiet Graefestraße liegt, ist ein potentieller Vorkauf durch den Bezirk ausgeschlossen, weil nicht das ganze Haus, sondern nur die Gewerberäume des Kinos darin verkauft werden sollen; das Haus selbst ist in eine Mischform aus Miet- und Eigentumseinheiten aufgeteilt, momentane Eigentümerin der Moviemento-Räume ist die Delta Vivum Berlin 1 GmbH.
Früher BOW, heute Deutsche Wohnen und Accentro. Die Delta Vivum 1 ist eine alte Bekannte mit neuem Namen: Früher hieß sie BOW 2 GmbH und war Bestandteil der Unternehmensgruppe ALW von von Unternehmer Andreas Bahe, berühmt-berüchtigt für teure Modernisierungen, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und Verdrängung. Inzwischen ist die Firma mittels eines Share Deals in den Deutsche Wohnen- und Accentro-Imperien aufgegangen, ebenso wie die BOW 3 GmbH (jetzt Delta Vivum 2; dieser gehört das Wohnhaus in der Reichenberger Straße 55, um das es bereits seit Jahren ein Tauziehen gibt – mehr dazu in den „Namen-und-Neues“-Meldungen).
Hoffen auf guten Willen. „Nichts bedroht kulturelle Orte aktuell so sehr wie die Immobilienspekulation in unseren Städten“, heißt es auf der Kampagnen-Seite des Kinos. Und Sörgel fügt hinzu: „Wir können nur an das Herz der Immoblienkaufleute appellieren, dass sie speziell für den Erhalt des ältesten Kinos Deutschlands den Preis senken.“ Schmidt gibt sich kämpferisch: „Sollte das Kino nicht gesichert werden, könnte der Fall zum Fanal für die Deutsche Wohnen und Accenteo und ihre Profitökonomie werden“, so der Stadtrat.
Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter nele.jensch@extern.tagesspiegel.de.