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von Corinna von Bodisco

Veröffentlicht am 30.01.2020

„Unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ sollte die eigentlich öffentliche Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwochabend stattfinden. Das wurde auf der Grundlage „polizeilicher Hinweise“ entschieden, hieß es in einer Pressemitteilung des Bezirksamtes zweieinhalb Stunden vor Beginn. Die polizeiliche Gefährdungseinschätzung stand in Zusammenhang mit dem selbst erklärten „anarcha-queer-feministischen“ Hausprojekt „Liebig 34“ in Friedrichshain.

Prozess über die Räumungsklage unterbrochen. „Der Prozess am Kriminalgericht Berlin über die Räumungsklage des Hauseigentümers Gijora Padovicz gegen die Bewohnerinnen ist am Donnerstagmorgen abgebrochen worden. Grund dafür ist ein Antrag des Anwalts, der dem Richter Befangenheit vorwirft, weil der nur maskuline Sprachformen nutze“, schreibt Kollegin Madlen Haarbach, die vor Ort war.

Zuvor hatten Unbekannte in der Nacht zum 27. Januar das Bezirksamt in der Frankfurter Allee mit dem Spruch „Liebig 34 bleibt – BVV muss weg“ besprüht und Fenster eingeschlagen. Die BVV sei „mitverantwortlich für das kommende Räumungsfestival der spekulativen Immobilienblase“, heißt es in dem Bekennerschreiben auf indymedia.org. Die radikale Onlineplattform „linksunten.indymedia“ bleibt übrigens verboten. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies eine Klage dagegen ab. Gegen das Verbot demonstrierten am Wochenende Autonome und griffen dabei Polizei als auch Journalistinnen an.

Aufgrund dieser Drohungen, Vorfälle und der Einschätzung der Polizei sollte mit der nicht-öffentlichen Sitzung vor allem die Sicherheit für die Bezirksverordneten und die Mitarbeiterinnen des Bezirksamtes gewährleistet werden. „Der Ausschluss der Öffentlichkeit betrifft auch die Presse“, sagte mir BVV-Vorsteherin Kristine Jaath (Grüne).

Völliger Ausschluss der Presse? Daraus ergeben sich folgende Fragen: Müsste nicht gerade die Presse anwesend sein, wenn der Öffentlichkeit kein Einlass gewährt wird? Will die BVV etwa Selbstgespräche führen? Und: Was kann ein Besuch vor Ort, was Twitter nicht kann? Deswegen fuhr ich für einen Lage-Check trotzdem hin – mit der Hoffnung, teilnehmen zu dürfen.

Vor Beginn der Sitzung demonstrierten vor dem Rathaus etwa 150 Menschen, darunter Initiativen wie Bizim Kiez, 200Häuser und Deutsche Wohnen & Co enteignen. Sie solidarisierten sich mit Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), denn er vertrete wie sie einen „aktiven Mieter*innenschutz“. Vor der angemeldeten Kundgebung hatten sich etwa 30 Initiativen in Form eines unterzeichneten Statements hinter die Politik des Baustadtrats und gegen „Anwürfe gegenüber seiner Amtsführung“ gestellt. Aufgrund des Vorwurfs der Aktenmanipulation wird aktuell gegen den Baustadtrat ermittelt. Die Demo blieb friedlich und wurde von zwei Kontaktbeamten begleitet, fünf Mannschaftswagen waren vor Ort.

Gegen Ende der Demo rollten etwa 20 schwarz gekleidete Personen lange Transparente aus, zum Beispiel mit der Aufschrift „Squat your local town hall Freiräume werden erkämpft!“. Eine Vertreterin des Hauses „Liebig34“ sagte mir: „Wir finden es ungerecht, dass wir bei der heutigen BVV kein Thema sind und wollen das zeigen.“ Ein Sprecher von Bizim Kiez betonte, die angemeldete Kundgebung habe keinen Zusammenhang zu den Themen rund um die „Liebig34“.

Die Presse durfte wirklich nicht rein! Während der Demo und der Aktion mit den Transparenten tagte die BVV zunächst nicht-öffentlich. Die Pressevertreterinnen und -vertreter erhielten keinen Eingang, deswegen war ich an diesem Mittwochabend nicht im Rathaus. „Das können die doch nicht machen“, meinten nicht nur wir von der Presse, sondern auch Besucherinnen, die umsonst kamen.

BVV wurde vertagt. Eine normale BVV war es dann aber doch nicht. Bezirksverordnete flüsterten der Presse durch die Scheibe des verschlossenen Haupteingangs nach und nach Informationen zu. Laut BVV-Geschäftsordnung muss eine nicht-öffentliche Sitzung zunächst von der BVV beschlossen werden. Das ist am gestrigen Mittwoch zwischen 18 und 19 Uhr in Form eines Antrags geschehen.

Erst danach konnte die Sitzung „formal unterbrochen“ und der Öffentlichkeit ein Folgedatum kommuniziert werden: der 10. Februar. Lediglich die „Konsensliste“ mit Themen, für die keine Diskussion mehr vorgesehen war, wurde vom Bezirksparlament am gestrigen Mittwoch beschlossen. Unter diese Liste fällt auch der Antrag zur schlimmen Postsituation in Kreuzberg 36 (unten bei Namen & Neues lesen). Über die oben genannte Aktenmanipulation kann in Form einer Großen Anfrage erst in der Sonder-BVV diskutiert werden. Fortsetzung folgt.

Corinna von Bodisco ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Neben dem Schreiben treibt sie die Frage um, welche Wege und Formate sich zusätzlich anbieten, um mit Menschen in der Stadt über Themen zu diskutieren und sie in die Berichterstattung miteinzubeziehen. Wünsche, Ideen und Kritik liest sie gern per Mail, bei Twitter oder Instagram.