Intro
von Nele Jensch
Veröffentlicht am 09.07.2020
es wird viel zu selten über sie berichtet, aber es gab und gibt sie durchaus, die Vermieter*innen, die sich um ihre Mieterschaft sorgen und keineswegs daran interessiert sind, mit ihren Immobilien maximalen Gewinn zu erzielen. Zum Beispiel Willi Kolberg, der 2016 verstorbene Hausbesitzer der Wrangelstraße 83, der sich sogar über den Tod hinaus um seine Mieter*innen sorgte. In seinem Nachlass hielt er fest: „Ich wünsche auf gar keinen Fall, dass meine Häuser verkauft oder anderweitig veräußert werden. Sie sind mein Lebenswerk.“ Deshalb vermachte er sie der landeseigenen Charité, in dem guten Glauben, dass sie seinen sozialen Anspruch beachten würde.
Charité reichte Häuser weiter. Leider vergeblich: Die Charité reichte die Häuser an die Stiftung des Jüdischen Krankenhauses weiter. Diese wiederum beauftragte die Gewobe (Teil der Wohnungsbaugesellschaft Degewo) mit der Hausverwaltung; als erstes wurde daraufhin dem bisherigen Hauswart gekündigt, der laut Kolbergs Vermächtnis lebenslanges, mietfreies Wohnrecht besitzt. Auch seine Wohnung sollte er verlieren, ebenso wie ein anderer Mieter, der eine Gewerbefläche im Haus betreibt.
„Willi wollt’s anders“. Noch schlimmer: Die Krankenhaus-Stiftung verkaufte bereits 2018 andere ehemalige Kolberg-Häuser und nun auch die letzten verbleibenden zwei – die Wrangelstraße 83 ging für 2,2 Millionen Euro an Henrik Ulven, einen Immobilienspekulanten, der laut „taz“ einem ganzen Netzwerk aus GmbHs vorsteht. Die Bewohner*innen wollen das nicht auf sich sitzen lassen: Unter dem Motto „Willi wollt’s anders“ haben sie sich zusammengeschlossen. Das Haus ist auch Teil der neuen Mieter*inneninitiative „23 Häuser sagen Nein“, von denen ich Ihnen letzte Woche berichtet habe.
Auch die Politik sichert Unterstützung zu: “Wie hier mit dem letzten Willen eines ehrbaren Vermieters umgegangen wird, ist einfach nur makaber“, erklärt der Linken-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser auf Nachfrage. Meiser sieht den Senat in der Pflicht: „Der Senat muss dafür sorgen, dass dieses Trauerspiel beendet wird und das Vorkaufsrecht ausgeübt werden kann. Und wenn die Stiftung, die das Haus jetzt versilbern will, noch einen Funken Anstand hat, verzichtet sie auf die durch den Hausverkauf in Aussicht stehenden Einnahmen und spendet diese im Anschluss umgehend an die öffentliche Hand zurück“, so der Linken-Politiker. Auf seine Unterstützung könnten sich die Mieter*innen verlassen.
Bezirk will Vorkaufsrecht anwenden. Auf die des Bezirks ebenfalls: Aktuell laufen die Prüfungen für das Vorkaufsrecht für die Wrangelstraße 83, bestätigt Sprecherin Sara Lühmann. „Der Bezirk ist intensiv bemüht, das Vorkaufsrecht für diese Haus zu nutzen“, so Lühmann.
Nele Jensch ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Offiziell wohnt sie zwar auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals, aber gefühlt ist die ja schon lange in Kreuzberg eingemeindet. Über Post freut sie sich auch unter nele.jensch@extern.tagesspiegel.de.