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von Nele Jensch
Veröffentlicht am 01.04.2021
wird die Hasenheide zum Spekulationsobjekt? Anwohnende befürchten das: Obwohl die vierspurige, vielbefahrene Straße zwischen Südstern und Hermannplatz bisher eher ein Schattendasein fristet, ist sie eigentlich ein Filetstückchen, immerhin liegt der gleichnamige Park direkt gegenüber, bzw. nebenan. Nicht wenige schöne Altbauten säumen die Straße, in deren Mitte einst die Straßenbahn fuhr, der beliebte Graefekiez befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft und zur Bergmannstraße ist es auch nicht weit. Verwaltungstechnisch gehört die Hasenheide teils zu Kreuzberg, teils zu Neukölln.
Die Mieter*innen der Hasenheide 50 sorgen sich um ihr Zuhause: Das Gründerzeit-Haus mit begrüntem Vorgarten, den die Hausgemeinschaft in Eigeninitiative bepflanzt, ist an die Winegg Realitäten GmbH verkauft worden. Die Hausgemeinschaft befürchtet, dass ihr Haus nun luxussaniert wird; dafür sei Geschäftsführer Christian Winkler bekannt. Bis 2019 war Winkler Geschäftsführer der Covivio Hathor GmbH, die rund 16000 Wohnungen und 1100 Gewerbeimmobilien in Berlin besitzt.
Umgehung des Mietendeckels. Tagesspiegel-Recherchen zufolge ist die Covivio eine der zehn Vermieter*innen, die den Mietspiegel in der Hauptstadt besonders in die Höhe treiben. Außerdem verlangte Covivio im Sommer von seinen Mietenden, die „gesetzlich erforderliche vorbehaltlose Zustimmung zur Mieterhöhung“ inklusive einer Unterzeichnungs-Frist. „Eben diese Regelungen wollte der Senat durch Einführung des Mietendeckels außer Kraft setzen. Den erkennen jedoch viele Vermieter nicht an“, schreibt Kollege Ralf Schönball auf Tagesspiegel Plus.
Abwendung statt Vorkauf. Deshalb strebten die Mieter*innen der 46 Wohnungen im Haus einen Vorkauf durch den Bezirk an, die Frist dafür wäre am 5. April abgelaufen – am Dienstag wurde stattdessen eine Abwendungsvereinbarung mit dem Investor getroffen. „Es ist ein Erfolg, aber für uns Mieter*innen nur ein Mindesterfolg, denn ein Vorkauf durch die landeseigene Gewobag oder eine Genossenschaft wäre die sicherere Lösung gewesen“, sagt Klaus Galimberti, Mieter in der Hasenheide 50. Trotz der ersten Erleichterung blieben so Angst und Unsicherheit bestehen.
Hausgemeinschaft will weiterkämpfen. „Es ist nicht abzusehen, wie die Zukunft sich in den Händen dieses Investors gestalten wird“, so Galimberti. Sein erklärtes Ziel sei die Schaffung von Luxuswohnraum, „und wir fragen uns natürlich, welche bösen Überraschungen uns bevorstehen, wie sehr er sich von Einschränkungen und Geldstrafen aus der Vereinbarung behindern lässt.“ Deshalb will sich die Hausgemeinschaft jetzt mit dem Bündnis „200 Häuser“ vernetzen, in dem sich von Umwandlung und Verdrängung Betroffene zusammenschließen. Auch in den sozialen Medien wolle man aktiv werden, und im Vorgarten haben die Mietenden schon mal eine Installation mit Miethai aufgebaut.
„Trotz Corona und Mietendeckel wird wieder mehr gekauft“. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) betont, dass die Ausübung der respektiven Androhung des Vorkaufsrechts wichtig sei – denn der Immobilienmarkt lasse sich von der Pandemie wenig beeindrucken: „Beim Vorkaufsrecht erleben wir gerade, dass trotz Corona und Mietendeckel wieder mehr gekauft wird. Umso wichtiger ist es, dass wir mit Unterstützung des Senats bei Bedarf ausüben können, damit Käufer*innen wissen, dass sie nur mit Abwendungsvereinbarungen weiter kommen“, so Schmidt auf Nachfrage.
Auch in der direkten Nachbarschaft sorgen sich die Mietenden: Für die Hasenheide 52/53 prüft der Bezirk derzeit einen Vorkauf, hier endet die Frist Mitte April. Verkauft wurde das Haus mit 24 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten an die JaVa Liegenschaften GmbH&Co. „Wir sitzen auf glühenden Kohlen, da unser Käufer – ein Investor, der sich auf seiner Webseite damit rühmt, wie schnell es ihm gelingt, Wohnungen einzeln weiterzuverkaufen – sich bisher offenbar weigert, die Abwendungvereinbarung zu unterzeichnen“, berichtet die Hausgemeinschaft.
„Wir sind auf bezahlbare Mieten angewiesen“. In dem Mietshaus lebt die typische „Kreuzberger Mischung“: Einige Mieter*innen leben seit den 1980er Jahren im Haus, die meisten seit mindestens zehn Jahren. Vom Kleinkind bis zu Menschen fortgeschrittenen Alters sind alle Altersgruppen vertreten, auch die Berufe der Bewohner*innen sind vielfältig: Selbstständige, Studierende, Rentner*innen, Künstler*innen und Angestellte. „Die Einkommen sind breit gestreut, jedoch meistens nicht hoch. Das bedeutet, dass wir alle auf bezahlbare Mieten angewiesen sind“, heißt es aus der Hausgemeinschaft.
Aufwertung durch Luxusneubauten. Anwohner*innen befürchten außerdem, dass der gesamte Kiez gentrifiziert wird: Mit dem Projekt „Garden Lane 55“ entstehen hochpreisige Eigentumswohnungen in der Hasenheide 55. Beworben werden sie mit „exklusivem Wohnen am Park“, „mittendrin im quirligen Leben von Berlin und doch ruhig und von schönen Parkanlagen umgeben“. Auch in der Hasenheide 74-76B läuft ein Neubauprojekt: Die Bewocon baut dort 210 Wohnungen auf acht Etagen. Die Miete für 70 Quadratmeter im Erdgeschoss beträgt über 1.300 Euro – dennoch sind die meisten Objekte laut Homepage bereits vermietet oder zumindest reserviert.
Die bunten Berliner Kieze sind bekanntermaßen begehrt: „Aufteilung, Luxusmodernisierung, gesichtslose Gewerbetürme, Gentrifizierung sind die Folgen“, schreibt Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Doch in Berlin rebelliere die Zivilgesellschaft gegen den Ausverkauf der Stadt, insbesondere in Friedrichshain-Kreuzberg mit Unterstützung der Politik. Beides ist für Schmidt ohnehin nicht zu trennen: „Ja, ich bin Aktivist im Amt“, bestätigt der Baustadtrat einen oft erhobenen Vorwurf gegen sich, den er nicht als solchen sieht – meistens werde Politiker*innen schließlich vorgeworfen, sich nur durch jahrelange Parteiarbeit auszuzeichnen.
Die Mieter*innen in der Hasenheide hoffen nun, dass der Aktivist und Politiker Schmidt ihnen helfen kann. Andere Mietende können schon aufatmen: Am Mehringdamm wurde ein Haus vorgekauft, für ein anderes in der Auerstraße ebenfalls eine Abwendungsvereinbarung geschlossen. Mehr dazu lesen Sie weiter unten in „Namen&Neues“.
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