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von Nele Jensch

Veröffentlicht am 03.06.2021

es war ein beeindruckendes, wenn auch trauriges Bild: Mehrere hundert Menschen kamen am Freitag Nachmittag zu einer Mahnwache für die 37-jährige Radfahrerin, die am Donnerstag vor einer Woche auf der Frankfurter Allee von einem LKW getötet worden war. Laut Polizei wurde sie von einem Sattelzug überrollt, als sie einem auf dem Radweg parkenden Geldtransporter auswich und dabei auf die Fahrbahn geriet.

Ihr Tod wäre vermeidbar gewesen: Hätte der Transporter nicht widerrechtlich auf dem Radstreifen geparkt, würde die Frau noch leben. Daran erinnerten die Menschen, die zur Mahnwache kamen: „Radweg ist kein Parkplatz“. Auf einem anderen Schild wurde dem Senat „tödliche Untätigkeit“ vorgeworfen. Dierk von Schneidemesser vom Verein Changing Cities, der die Mahnwache organisiert hatte, forderte in seiner Rede, das Mobilitätsgesetz tatsächlich umzusetzen – und dass Polizei und Ordnungsämter nicht länger dulden sollten, wenn Kraftfahrzeuge auf Radwegen abgestellt werden. „Sie war eine von uns, sie wollte nur irgendwo hin. Gestern kam sie nicht an ihrem Ziel an“, sagte Schneidemesser.

In dieser Woche ist ein weiteres Todesopfer zu beklagen: Zwei Wochen nach einem Unfall mit einem Betonmischer-Fahrzeug im Prenzlauer Berg ist eine Radfahrerin ihren schweren Verletzungen erlegen. Der Fahrer hatte die 38-Jährige am 14. Mai auf der Greifswalder Straße beim Rechtsabbiegen überfahren. Die Frau ist die vierte Radler*in in diesem Jahr, die im Berliner Straßenverkehr getötet wurde.

Viele Autofahrende scheinen leider nicht bereit zu sein, die motorisierte Gewalt zu verringern: Direkt neben dem Gedenkort mit Blumen und weißem Geisterfahhrad für die in Friedrichshain ums Leben gekommene Radfahrerin parkte am Freitagabend ein weiterer Transporter auf dem Radweg, dokumentiert der BVV-Verordnete Magnus Heis(Grüne) auf Twitter. „Ich habe keine Worte mehr. Es ist einfach nur noch ermüdend“, schreibt Heise.

Noch dreister ging es am Wochenende auf der Kottbusser Brücke zu: Dort parkte ein Schnelltestmobil stundenlang auf dem Radweg. „Zählen die eigentlich jede*n vorbeifahrende*n Radfahrer*in als 1 Corona-Test und rechnen entsprechend ab?“, fragt sich Jan Michael Ihl auf Twitter sarkastisch.

Ein weiteres großes Thema ist die Untätigkeit der Behörden: Viele Berliner Radfahrende kritisieren, dass Ordnungsbehörden Falschparken – auch auf Radwegen oder Fußgängerüberwegen – nur selten als Risiko wahrnehmen und entsprechen ahnden würden. In Pankow sieht das Ordnungsamt keinen Grund zum Handeln, wenn LKWs regelmäßig den Gehweg vor einem Supermarkt blockieren. Für Wirbel sorge auch ein Tweet der Berliner Polizei, in dem sie „Verständnis“ für einen Monteur äußerte, der einen Gehweg in Friedrichshain-Kreuzberg zuparkte. „Ist der Account von Polizei Berlin gehackt?“, twitterte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Sie sagte dem Tagesspiegel: „Die Kampagne irritiert mich wirklich.“ Sie sei eine „Provokation gegenüber allen im Straßenraum, die nicht mit dem Auto unterwegs sind.“

Und nur ein paar Meter von der Mahnwache für die getötete Radfahrerin entfernt soll die Polizei am Freitag einen Umzugswagen angewiesen haben, auf dem Radweg zu warten statt auf einer der KfZ-Spuren, berichtet Günter Bartsch auf Twitter. Mehrere Korso-Teilnehmer*innen sollen die Beamt*innen darauf aufmerksam gemacht haben, dass der LKW ein kleines Stück weiter hätte stehen können, ohne Radfahrer*innen zu gefährden. Vergeblich. Kommt das häufiger vor? Die Polizei erklärt auf Nachfrage, dass es kein übliches Vorgehen für derartige Fälle gebe, sondern immer eine „Einzelfallabwägung“ sei.

Doch es gibt auch gute Nachrichten – der Radweg an der Frankfurter Allee soll sicherer werden. Am Freitag kündigte Jan Thomsen, der Sprecher der Verkehrsverwaltung an, dass einige Baken (so genannte Leitboys) aufgestellt werden. Allerdings nicht auf ganzer Länge, da sich rechts von der Radspur teilweise Parkplätze befinden. Bereits nächste Woche sollen die Poller auf der Frankfurter Allee aufgestellt werden, erklärt Bezirksamtssprecherin Sara Lühmann auf Nachfrage. Wenn Appelle an den gesunden Menschenverstand nicht genügen, müssen eben bauliche Maßnahmen her – die vielleicht weitere tote Radler*innen verhindern.

Ordnungsamt kontrolliert verstärkt Falschparker*innen. Nach ersten Angaben der Polizei wird der Fahrer des Transporters, der auf der Radspur stand, zunächst mit einer Ordnungswidrigkeiten-Anzeige davonkommen. Es könnten ganze 30 Euro Geldbuße fällig werden. Teurer wird es für Falschparkende hingegen, wenn ihr Auto abgeschleppt wird. Das Ordnungsamt Xhain „ist mit seinem derzeit temporär eingesetzten separaten Verkehrsüberwachungsdienst verstärkt unterwegs, um gegen Falschparken auf Radwegen vorzugehen“, erläutert Lühmann. Im Schnitt würden monatlich durch das Ordnungsamt ca. 300 Umsetzungen veranlasst, darunter auch viele Fahrzeuge auf Radwegen.

  • Tipps zur sicheren Fahrt. Bei 26 Grad und Sonne radeln auch die, die weniger Routine im Umgang mit der alltäglichen Lebensgefahr auf Berlins Straßen haben. Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs hat im Checkpoint-Newsletter Tipps zur sicheren Radfahrt zusammengestellt.

+++ Dieser Beitrag stammt aus dem Friedrichshain-Kreuzberg-Newsletter. Jeden Mittwoch neu und kostenlos per Mail erhalten, Anmeldung hier: leute.tagesspiegel.de

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