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von Corinna von Bodisco
Veröffentlicht am 17.06.2021
eigentlich sollte die Brandschutzbegehung im teilbesetzten Haus der Rigaer Straße 94 am heutigen Donnerstag um 8 Uhr starten. Die Polizei hat sich mit einem massiven Aufgebot (anfangs 350 Einsatzkräfte) auf ihren Einsatz vorbereitet, damit „der Brandschutzprüfer seiner Aufgabe nachkommen kann“, wie ein Polizeisprecher heute früh sagte. Insgesamt werden es im Verlauf des Tages mehr als 1.300 Polizist*innen sein, darunter auch Einheiten aus anderen Bundesländern.
Als die Polizei nach etwa zwei Stunden die Tür aufbrach, wurden Beamt*innen von den Bewohner*innen mit einem Feuerlöscher besprüht und zogen sich daraufhin zurück. Gegen 10.30 Uhr war die zweite Tür durch und die Einsatzkräfte im Hof des Nachbarhauses. Doch erst um kurz vor 13 Uhr konnte der Brandschutzprüfer das Haus betreten – gemeinsam mit zwei Vertretern des Bezirks. Die Gutachter sind in Begleitung der Polizei. Es ist unklar, ob die Brandschutzprüfung heute noch abgeschlossen werden kann.
- Wie es aktuell um die Begehung steht, lesen Sie auf dem Tagesspiegel-Live-Blog zur Rigaer 94.
Laut Oberverwaltungsgericht (OVG) sind die Bewohner*innen dazu verpflichtet, das Betreten des Gebäudes durch einen staatlich anerkannten Prüfingenieur für Brandschutz und die Bauaufsicht zu dulden. Einige Bewohner*innen hatten beim OVG zuvor Beschwerde gegen die vom Bezirk erlassene Duldungsanordnung eingelegt. Der Eigentümer dürfe zwar das Gebäude, nicht aber die Wohnungen betreten, entschied das OVG.
Widerstand gegen die Begehung wurde lange zuvor angekündigt. So errichteten rund 200 Vermummte am gestrigen Mittwoch Barrikaden, u.a. aus Holzpaletten, Gittern und Autoreifen. Als die Polizei anrückte, setzten die sogenannten Autonomen die Barrikaden in Brand, von den Dächern wurden Steine und Flaschen geworfen. 60 Einsatzkräfte wurden leicht verletzt, die Polizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Umliegende Kitas und eine Schule bleiben bis Freitag geschlossen, das Bürgeramt ist aus Sicherheitsgründen bis kommende Woche dicht.
Wie soll man das nennen? Massive Attacken gegen Polizeikräfte, extreme Gewalt, „linksextreme“ Gewalt? Die BVV diskutierte in der Sitzung am Mittwochabend lange darüber (wie auch schon bei der Liebig 34), welche Worte in der verabschiedeten Resolution („Wir dulden keine linksextreme Gewalt im Samariterkiez!“ der FDP – oder: „Wir dulden keine Gewalt im Samariterkiez!“ der Linken und Grünen) stehen durften. Beschlossen wurde letztlich die zweite Version (Das Wort „linksextrem“ sowie drei Sätze zu „Personen, die sich solcher Mitteln bedienen“ wurde gestrichen).
Die Diskussion driftete zum Teil ab, Richtung „Naturphänomen“. „Die Ausschreitungen sind etwas, was uns fassungslos machen sollte“, sagte Wolfgang Lenk (Grüne), positionierte sich aber gegen die konkrete Benennung von Personen, „weil es sich bei dieser linksradikalen Aktion um ein Ereignis handelt“, sagte er.
„Es geht um linksextreme und nicht um allgemeine Gewalt. Wir müssen das benennen“, kritisierte Michael Heihsel (FDP) die Entscheidung. Die SPD unterstützte zwar die „redigierte“ Version, aber auch die Ursprungsresolution, weil die Fraktion die Streichungen nicht nachvollziehen konnte. Nach der Positionierung der BVV gegen die Ausschreitungen versandte auch das Bezirksamt eine Mitteilung gegen „die gewalttätige Eskalation im Samariterkiez“:
„Wir verurteilen die Gewalt und das Chaos, das dort gestiftet wird. Der Aufbau von Barrikaden, das Anzünden von Müllcontainern und das Zünden von Pyrotechnik in Richtung anderer Menschen sind keine Formen der demokratischen Willensäußerung. Es kann nicht sein, dass Kinder heute aus ihren Kitas und ihrer Schule evakuiert werden mussten und Menschen sich um ihre Sicherheit im Wohn- und Arbeitsumfeld sorgen, weil eine gewaltbereite Minderheit für derartige Szenen und Gefahr im Kiez sorgt.
In einer Demokratie haben wir alle das Recht, für unsere Überzeugungen auf die Straßen zu gehen – friedlich und ohne anderen zu schaden. Das ist im Samariterkiez aktuell nicht der Fall. Diese Gewalt hat hier nichts zu suchen!“ (Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann, Grüne).
Was wird die nächsten Tage passieren? Die Interkiezionale will heute am Donnerstagabend ab 20 Uhr demonstrieren (kontrapolis.info). Ob die Begehung schon am Donnerstag beendet werden kann, lesen Sie hier im Live-Blog.
Was sonst noch im Bezirk passiert (u.a. Ärger um Fußgänger*innenzone, Mitarbeiter*innen-Streik vor dem Urban-Klinikum, Protestoper Lauratibor, viele Veranstaltungs-Tipps) und was noch alles bei der BVV besprochen wurde, lesen Sie in diesem Newsletter. Ideal für die Lektüre: ein kühles Getränk.
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