Namen & Neues
Immobilienfonds setzt Buchhandlung Kisch & Co vor die Tür
Veröffentlicht am 23.04.2020 von Corinna von Bodisco
Seit 23 Jahren gibt es die Buchhandlung Kisch & Co in der Oranienstraße 25, doch der Vertrag läuft Ende Mai 2020 aus. Das Gebäude wurde Anfang des Jahres an einen „Immobilienfonds mit Sitz in Luxemburg“ verkauft, sagte mir Laden-Inhaber Thorsten Willenbrock. Ein Angebot für eine Verlängerung des Vertrags habe es nicht gegeben. Vor zwei Wochen erhielt Willenbrock stattdessen ein Schreiben zu mit einer Art Abfindungsangebot: Für die letzten drei Mietmonate müsse keine Miete gezahlt werden, sollte der Laden zum Ablauf des Mietvertrags geräumt sein.
„Der Kontakt lief seit Monaten nur über die Hausverwaltung, die kein Verhandlungsmandat hat“, sagt der Ladeninhaber. Der Buchladeninhaber machte darauf aufmerksam, dass der Vertrag auslaufe. Auf die Frage der Hausverwaltung, was „sie wünschen“, hätte er eine Mietreduzierung auf 17,50 Euro pro Quadratmeter vorgeschlagen. Vor drei Jahren – damals stand das Mietverhältnis ebenfalls auf der Kippe – sei die Miete nämlich auf 20 Euro pro Quadratmeter angehoben worden. Daraufhin wurde ausgerichtet, „man“ wolle Umsatzzahlen sehen.
Wer ist „man“? Kisch & Co habe zwei Vorschläge gemacht: „Entweder wir können mit einer verfügungsberechtigten Person verhandeln und legen dafür betriebswirtschaftliche Zahlen offen. Oder der jetzige Vertrag wird bis Ende des Jahres verlängert“, berichtet Willenbrock. Beide Vorschläge blieben ungehört. Ein nicht verhandlungsberechtigter Anwalt wurde beauftragt – und dann folgte der „Abfindungs“-Brief.
Versteckte Eigentümerschaft. Welche Menschen hinter der verzweigten Spezialkommanditgesellschaft mit dem Namen „Victoria Immo Properties“ stecken und im Falle des Kreuzberger Buchladens etwas zu entscheiden haben, wird verschleiert. Doch Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit hat über das sogenannte „Transparenzregister“ herausgefunden, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Enkel des schwedischen Tetra-Pak-Gründers Ruben Rausing verfügungsberechtigt sind, schreibt das „Neue Deutschland“. Im Fall Victoria seien im Register drei Anwälte eingetragen. Dasselbe Trio tauche im dänischen Transparenzregister für den Agrokonzern von Lisbet Rausing auf. Ihre Schwester, die Autorin Sigrid Rausing, ist Gründerin der humanitären Stiftung „Sigrid Rausing Trust“.
Politische Unterstützung. Bereits Anfang April wandte sich die Linken-Abgeordnete Gaby Gottwald in einem Brief an Sigrid Rausing: „Für den Buchladen Kisch & Co ist es eine sehr ‚große Sache‘, da die Frage Sein oder Nichtsein aufgeworfen wird. Auch für uns Anwohner in Kreuzberg ist es eine ‚große Sache‘, wenn unser Buchladen schließen muss, weil er eine höhere Miete nicht zahlen kann“. Eine Rückmeldung habe Gottwald noch nicht bekommen. Auch Willenbrock selbst habe sich nun an die Rausings gewandt.
Brief Nummer zwei. Vergangene Woche legte Clara Herrmann (Grüne) mit einem offenen Brief nach: Mit den Worten „Seien Sie sich Ihrer sozialen und stadtstrukturellen Verantwortung bewusst: keine Mieterhöhungen für kulturelle Nutzungen!“, appelliert die Kulturstadträtin an die neuen Eigentümer, die Mietverhandlungen fortzuführen. Doch ob sich die Milliardenerbinnen noch auf eine Diskussion einlassen, ist unklar. – Text: Corinna von Bodisco
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