Namen & Neues
Markthalle Neun: Aldi will bleiben
Veröffentlicht am 18.02.2021 von Corinna von Bodisco
Der Streit um den Aldi in der Markthalle Neun ist noch nicht vorbei. Diesen Montag veröffentlichte Aldi Nord eine neue Stellungnahme. Die Infos sind bereits bekannt, doch der nachdrückliche Titel „Aldi will bleiben“ ist neu. Entgegen einer Mitteilung des Bezirksamtes vom Dezember, wonach Aldi in der aktuellen Ladenfläche „keine Perspektive“ sehe, wolle der Discounter sehr wohl dort bleiben, bis sich eine realistische Alternative im Kiez bietet.
Die fehlende Perspektive begründet Aldi Nord in der Mitteilung vom 15. Februar in der „sehr kurzfristigen Kündigungsoption des Vermieters“. Der Vertrag sei „monatlich kündbar“, heißt es auf Nachfrage. Auf dieser Basis könnten die aufwendigen Modernisierungen nicht durchgeführt werden, bei anderen vertraglichen Bedingungen dagegen wären sie durchaus umsetzbar. Außerdem habe Aldi Nord „stets verdeutlicht, dass wir weiterhin unsere Rolle als Nahversorger des umliegenden Quartiers sehen und grundsätzlich in der Markthalle bleiben würden, bis sich eine realistische und ortsnahe Alternative bietet“, heißt es weiter. Sich aus dem Wrangelkiez zurückziehen, stehe für das Unternehmen nicht zur Debatte.
Dem Bezirksamt dagegen scheint nicht so klar zu sein, dass der Aldi bleiben will. Aus einer Einwohneranfrage von Ende Januar 2021 geht hervor, dass das Unternehmen bis zum 13. Mai 2020 in Gesprächen mit der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) Gegenteiliges äußerte. Dabei habe ein Aldi-Vertreter gesagt, er gehe davon aus, „dass der Aldi-Markt in der Markthalle 9 bis Ende des Jahres 2020 schließen werde“. Ein entsprechenden Antrag auf Schließung der Filiale reichte er bei der Zentrale ein. „Insofern bin ich über die Ausführungen in der Frage irritiert und kann auf diese Aussagen nicht weiter Stellung nehmen“, antwortet Herrmann der Einwohner*in.
Auch die Betreiber der Markthalle Neun informieren in einer Mitteilung über eine eher widersprüchliche Kommunikation des Unternehmens: Der Leiter von „Expansion Aldi“ habe am 10. Juni 2020 telefonisch über seine Entscheidung informiert, den Standort in der Markthalle aufgeben zu wollen. Im September hieß es dann, wegen der Pandemie werden „vorübergehend“ keine Standorte aufgegeben. „Seitdem gab es keine Gespräche oder Gesprächsanfragen vom Aldi-Konzern an uns“, informieren die Betreiber. Dann kam diese Woche die Pressemitteilung mit dem vielsagenden Titel.
Etwa zwei Jahre schon geht es darum, ob der Discounter in der Halle bleibt oder von einem Drogeriemarkt ersetzt wird. Die „Anwohnergruppe Kiezmarkthalle“ kritisiert, dass das Angebot in der Markthalle primär auf Besserverdienende abziele. Außerdem, so heißt es in einer Mitteilung der Gruppe, übergehe der Bezirk die Ergebnisse des Dialogverfahrens. Nicht nur die von der Bezirksbürgermeisterin öffentlich genannten Stichpunkte „Regional, Bio und Nachhaltigkeit“ seien einer Mehrheit der Teilnehmer*innen wichtig, sondern auch die Punkte „bezahlbare Lebensmittel“ und der Verbleib des Aldi oder eines vergleichbaren Lebensmittel-Marktes in der Halle.
Filterfunktion: Wie vielen Teilnehmer*innen die genannten Kategorien wichtig waren, kann auf der Plattform dialogverfahren-markthalle-neun.de gefiltert werden. Meine Filter-Recherche ergab:
- bezahlbare Lebensmittel: 393 Personen, 456 Beiträge;
- Aldi behalten: 230 Personen, 299 Beiträge;
- Aldi oder anderer Lebensmittelsupermarkt: 36 Personen, 37 Beiträge;
- Regionale Lebensmittel: 161 Personen, 175 Beiträge;
- Bio: 144 Personen, 155 Beiträge;
- Nachhaltigkeit: 83 Personen, 92 Beiträge.
Das zeigt, dass tatsächlich viele Menschen an bezahlbaren Lebensmitteln interessiert sind. Es gibt übrigens noch viele weitere Themen, die beim Dialogverfahren Thema waren, z.B. Jugendliche, Bildungsangebote, Mieten, Events etc.
Clinch zwischen SPD und Grünen. Auch die SPD äußerte sich zum Thema, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sevim Aydin erklärte: „Die Grünen stellen die Ergebnisse des Dialogverfahrens so dar, als würden die Anwohnenden eine Ernährungswende und mehr regionale Bioprodukte fordern. Tatsächlich haben die Anwohnenden aber deutlich gemacht, dass sie Lebensmittelangebote im Niedrigpreissegment benötigen.“ Es könne nicht sein, dass die Bezirksbürgermeisterin die Bedarfe der Kreuzberger*innen völlig ignoriere.
Grünen-Fraktionssprecher Julian Schwarze zeigt sich von Aydins Aussage irritiert: „Die Frage ist, wo wir das gesagt haben sollen“. Das Dialogverfahren wurde schließlich nicht von den Grünen, sondern vom Bezirksamt durchgeführt. Zu den Ergebnissen des Dialogverfahrens sagt er: „Die Ergebnisse zeigen ein sehr heterogenes Bild. Klar ist, dass der Aldi eine Bedeutung hat“, es gebe aber auch Anwohnende, die andere Aspekte wichtig finden. Und es gebe nicht „die Anwohnenden“ als homogene Gruppe.
Der Hintergrund zum Dialogverfahren: Im Januar 2020 veranstaltete das Bezirksamt ein Nachbarschaftsforum, an dem sich 500 Menschen beteiligten und zu Themen wie Essen, Gemeinschaft und Umfeld über 1.200 sogenannte Dialogbögen ausfüllten. Die Ergebnisse sind auf dialogverfahren-markthalle-neun.de öffentlich einsehbar.
Die Webseite ist allerdings nur noch bis Anfang März 2021 online. Auch das kritisiert die Anwohnerinitiative sowie den Wegfall einer abschließenden Beteiligungswerkstatt („Diese hätte digital stattfinden können“).
Was sagt das Bezirksamt dazu? Die Ergebnisse sollen „im Sinne der Transparenz in jedem Fall auch danach weiterhin einsehbar bleiben“ – zum Beispiel „in Form einer PDF-Dokumentation“ auf berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg.
- Zur Erinnerung, warum der Aldi aus der Halle raus sollte: Die Halle wurde von einer Senatsfirma an drei Unternehmer verkauft (hier das Konzept der Markthalle lesen). Die Betreiber hatten wiederum dem Discounter gekündigt, beriefen sich dabei auf vertragliche Absprachen mit dem Senat zum „kleinteiligen“ Handel auf den insgesamt 3500 Quadratmetern. Nach den Protesten zahlreicher Anwohner*innen zur Kündigung des Discounters schaltete sich das Bezirksamt mit der Organisation eines Dialogverfahrens ein. Die Betreiber ließen sich auf das Beteiligungsverfahren ein.