Namen & Neues
Wegen kritischer Google-Rezensionen: Immobilienfirma lässt Anwaltsschreiben verschicken
Veröffentlicht am 23.12.2021 von Nele Jensch
Abgemahnt wegen Google-Rezensionen? Das geht? Nun ja, versuchen kann man es zumindest: Das Kölner Immobilienunternehmen Pandion hat sich bei Google über die Rezensionen von mindestens 18 Menschen beschwert, die kritische Rezensionen über das Pandion-Projekt „Ostkreuz Campus“ verfasst haben. Google forderte die Verfasser*innen per Mail auf, die Rezensionen zu löschen. Das berichtet die Nachbarschaftsinitiative „Wem gehört der Laskerkiez“; einige der Schreiben von Google liegen der Redaktion vor.
Zum Hintergrund: Derzeit entsteht im Rudolfkiez an der Ecke Persius- und Bödikerstraße der Bürogebäude-Komplex Ostkreuz Campus. Bis zu 3500 Menschen sollen in den drei Gebäuden, die zum Campus gehören, zukünftig arbeiten, die Lage ist durch die unmittelbare Nähe zum Bahnhof Ostkreuz besonders attraktiv. Die Nachbarschaft ist allerdings weniger begeistert: Seit April gab es im Rudolf- und Laskerkiez immer wieder Protestaktionen gegen das Vorhaben. Hauptkritikpunkt: Statt Bürogebäuden sollten auf den wenigen Freiflächen im Kiez lieber Wohnungen gebaut werden.
Außerdem befürchten Anwohner*innen, dass der Ostkreuz-Campus die Gentrifizierung im Kiez weiter befördern wird. Dieser gehört zu einer ganzen Reihe von Bauvorhaben im Ostkreuz-Areal, vor allem geht es dabei um Büro- und Gewerbeprojekte: Das 50.000 Quadratmeter umfassende Bürogebäude „B:Hub“, in dem neben Start-ups auch das Bundeskriminalamt Räume angemietet hat, ist bereits fertig gestellt. Bis 2024 soll das Gewerbeprojekt „Axis Offices“ entstehen, am Rummelsburger See sind außerdem der Bau von Luxuswohnungen und ein riesiges Aquarium („Coral World“) geplant. Anwohnende protestieren schon lange dagegen.
Der Bau-Hype forderte bereits erste Opfer: So wurde der Mietvertrag des Kulturzentrums „Zukunft am Ostkreuz“, das zugleich Kino, Theater, Ausstellungsort, Biergarten und Kneipe ist, nicht verlängert und läuft im März 2022 aus. Was der Eigentümer mit dem Areal vorhat, ist bislang unklar. Zukunft-Geschäftsführer Manuel Godehard sagt jedenfalls, der Eigentümer wolle bauen und orientiere sich wohl an den Entwicklungen links und rechts des Geländes (Corinna von Bodisco berichtete).
Zurück zu den Anwohnenden, die Anwalts-Post bekommen haben: Die Google-Rezensionen hören sich keineswegs rechtswidrig an, es finden sich weder Drohnungen noch wüste Beleidigungen. „Ein weiteres Luxusprojekt, welches meiner Meinung und nach diversen Studien die Gentrifizierung vorantreiben wird“, schreibt ein/e User*in, „Klobige Klotzbauten mit Luxusmieten hat Berlin schon genug. Was wir hier brauchen, ist bezahlbarer Wohnraum und Flächen für kreative, künstlerische und alternative Projekte“, ein anderer. „Passt weder in den Kiez, noch braucht man Großraumbüros. Die angepriesen lebendige Nachbarschaft wird durch solche Projekte verdrängt und zerstört“, meint eine weitere Userin.
Der von Pandion beauftragte Rechtsanwalt Colin Simbach sieht das anders: Als „rechtsverletztende Bewertungen“, die lediglich dazu da seien, das Unternehmen zu diskreditieren, werden die Rezensionen bezeichnet. Es würde sich nicht um „sachliche Bewertungen“ handeln. Außerdem wird beanstandet, dass die Kritiker*innen nie „Kund*innen“ des Unternehmens gewesen und eine Bewertung somit unzulässig sei. In den Schreiben wurde als Frist der 19. Dezember genannt; bis zu diesem Datum sollten die Rezensionen gelöscht werden, ansonsten droht Simbach mit rechtlichen Schritten. Längst nicht alle Rezensent*innen sind der Aufforderung bisher nachgekommen.
„Dreister geht es nicht mehr“, sagt Timo Steincke, Sprecher von „Wem gehört der Laskerkiez“. „Wirklich niemand hier in unserem Kiez möchte dieses gewaltige Luxusbüroareal als seinen Nachbarn haben.“ Nun auch noch zu versuchen, die Kritik aus der Nachbarschaft mithilfe eines Anwalts zum Schweigen zu bringen, setze dem Ganzen die Krone auf.
Pandion indessen verteidigt den Schritt: „Die Reputation unseres Unternehmens und unserer Projekte ist uns wichtig“, begründet Unternehmenssprecherin Rahel Camps auf Nachfrage das Vorgehen. Sachlicher Kritik würde man sich jederzeit gerne stellen, für das Projekt „Ostkreuz Campus“ habe Pandion allerdings „einige anonyme Google-Bewertungen erhalten, die aus unserer Sicht unsachlich sind oder eine Diskreditierung unseres Unternehmens zum Ziel haben“. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die meisten der beanstandeten Rezensionen keineswegs unter Pseudonym, sondern mit Klarnamen der Verfasser*innen abgegeben wurden.
Den Vorwurf, keine kritischen Stimmen zulassen zu wollen, weist Pandion zurück: „Zu keinem Zeitpunkt war es unser Plan, alle negativen Bewertungen bei Google zu unterbinden“, so der Campus. „Wir haben Verständnis dafür, dass die Menschen in der Nachbarschaft unseres Grundstücks ihre Wünsche hinsichtlich einer Bebauung äußern.“ Zu den Tatsachen gehöre jedoch auch, dass das Grundstück seit mehr als 100 Jahren gewerblich genutzt wird und der Bebauungsplan auch weiterhin eine gewerbliche Nutzung und keine Wohnbebauung vorsehe.
Mit der Löschung ihrer Google-Bewertungen wollen sich die meisten der betroffenen Anwohner*innen nicht abfinden. „Wir sind untereinander gut vernetzt und werden uns auf gar keinen Fall damit abfinden, dass eine Kritik, die vermutlich die Kritik vieler hier im Kiez lebender Menschen wiederspiegelt, von einem milliardenschweren Unternehmen zum Schweigen gebracht wird“, so Steincke. Man wolle sich Hilfe von professionellen Medienanwält*innen suchen. Doch das wird wohl nicht nötig sein: „Im Falle der Rezensionen, die bisher nicht von Google entfernt wurden, werden wir keine weiteren Schritte unternehmen“, versichert Pandion-Sprecherin Camps.