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Kotti-Akteur*innen kritisieren Standort der Polizeiwache in Offenem Brief – Innensenatorin wird zu Sondersitzung eingeladen
Veröffentlicht am 16.06.2022 von Corinna von Bodisco
Insgesamt 12 Gruppen von Anwohner*innen, Aktivist*innen und Gewerbetreibenden am und rund um das Kottbusser Tor protestieren in einem Offenen Brief gegen den Standort der geplanten Polizeiwache. Sie fordern den Senat und Mitglieder des Abgeordnetenhauses auf, die Pläne für die über 3,5 Millionen teure Wache in den Räumen auf der Brücke über der Adalbertstraße zu stoppen. Zu den Unterzeichnenden gehören unter anderem der Mieterrat, die Gewerbe AG, Kotti & Co, das Café Kotti, das Vierte Welt Theater und Mitglieder des Quartiersrates.
Innensenatorin Iris Spranger will die Polizeiwache bis Jahresende errichten lassen, für die SPD-Politikerin ist es ein Prestigeprojekt an dem kriminalitätsbelasteten Ort. Im Offenen Brief wird sie aufgefordert, mit den Menschen vor Ort und den Unterzeichnenden in einen Dialog zu treten. „Wir sind zutiefst irritiert darüber, dass Sie den Standort der geplanten Polizeiwache auf der Galerie des NKZ anscheinend trotz breiter Kritik durchsetzen wollen“, heißt es im Brief.
Es werde so dargestellt, als wäre „der aktuell anvisierte Standort auf der Galerie, über unseren Köpfen, der einzige mögliche. Das bezweifeln wir.“ Standortvorschläge und Möglichkeiten sollten stattdessen in einem transparenten Verfahren offengelegt werden. Alle „wesentlichen Akteure“ wie Gewerbetreibende, Vereine, der Quartiersrat und Initiativen „sprechen sich gegen den von Ihnen nun geplanten Standort aus.“ Auch die Polizei vom Abschnitt 53 sehe den konkreten Standort kritisch, es würde eine ebenerdige Lösung präferiert.
Weiterhin wird im Schreiben gefragt, warum es keinen Runden Tisch gab, um ein „nachhaltiges Konzept zusammen mit allen Akteuren vor Ort“ zu entwickeln. Eine Partizipation „der Gremien und Kreise, die zu den komplexen Problemlagen am Kottbusser Tor seit Jahren arbeiten“ habe es nicht gegeben. Ein nachhaltiges Konzept solle diverse Problemlagen wie Müll, Lärm, Partytourismus, Drogen, Obdachlosigkeit und Bedarfe wie öffentliche Toiletten und Sozialarbeit einbeziehen.
Die Unterzeichnenden verweisen auch auf die 2021 erschienene Studie „Leben zwischen Dreck und Drogen. Sicherheitsempfinden am Kottbusser Tor, Berlin“ von Talja Blokland, Professorin an der Humboldt-Universität Berlin. Gemeinsam mit einem Forschungsteam des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenforschung wurden 323 Anwohner*innen an Haustüren befragt. Dabei zeigte sich, dass eine sogenannte „vertraute Öffentlichkeit“ großen Einfluss hat: Die Befragten fühlen sich vor allem dann sicher, wenn sie die lokale Infrastruktur stark nutzen und Menschen wiederholt treffen.
Auch im Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung wurde am 9. Juni über die Kotti-Wache diskutiert. Ein Grünen-Antrag, der einen „Runden Tisch mit allen beteiligten Akteur*innen“ unter enger Beteiligung des Bezirks fordert, wurde auf Anraten der SPD vertagt. Ahmet İyidirli (SPD) wies darauf hin, dass ein ganzheitliches Konzept auf Landesebene im Umlauf sei. Darauf solle man warten und deswegen vertagen.
Grüne und Linke hatten dagegen Partei für den Antrag ergriffen. Es gehe nicht darum, ob es eine Wache geben soll oder nicht – „die meisten Menschen wünschen sich eine stärkere Polizeipräsenz. Es geht um die Form“, sagte die Grünen-Verordnete Taina Gärtner. Die Vertagung findet sie mit Blick auf den Offenen Brief fatal. Die Kotti-Wache am geplanten Standort ist laut Gaby Gottwald (Linke) „eine Idee des Senats ohne den Bezirk und die Leute vor Ort zu konsultieren“.
Ausschussvorsitzende laden Innensenatorin ins Café Kotti ein. Die Ausschussvorsitzenden Moheb Shafaqyar und René Jokisch (beide Linke) haben inzwischen die Innensenatorin am 21. Juni, 18 Uhr, zu einer öffentlichen Sondersitzung in das Café Kotti eingeladen. Anlass seien sowohl die fehlende Beteiligung der Menschen vor Ort als auch Gerüchte, „dass bereits in diesem Monat konkrete Tatsachen zur Realisierung der Wache im NKZ geschaffen werden sollen“, heißt es in der Einladung.
Gemeint ist offenbar die noch für Juni geplante Unterzeichnung des Mietvertrages. Die Senatorin wird gebeten, bei der Sondersitzung zum aktuellen Stand zu berichten und mit den teilnehmenden Anwohner*innen und Kommunalpolitiker*innen ins Gespräch zu kommen.
- „Ich lebe seit 40 Jahren an diesem Ort und habe etliche Politiker kommen und gehen sehen. Alle haben über das Kotti geredet, niemand mit ihm. Jetzt, nachdem dieser Ort sich so lange selbst überlassen wurde, setzt man den Leuten einen Wachturm auf den Kopf. Das lehnen wir ab“, sagt Ercan Yaşaroğlu vom Café Kotti, das direkt an die Polizeiwache angrenzen soll. plus.tagesspiegel.de
- „Kritik von der Basis“: Eine Anlaufstelle der Polizei für die Menschen am Kotti findet der erfahrene Polizist Norbert Sommerfeld prinzipiell zwar richtig, dafür brauche es aber auch geeignete Räumlichkeiten und festes Personal mit Ahnung vom Kiez. taz.de
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