Sport
Veröffentlicht am 09.01.2025 von Robert Klages
Kämpfen in Kreuzberg: Was ich beim „Playfight“ erlebt habe. Charlotte ist außer Puste, lehnt an der Wand. Sie hat gerade gegen Martin gekämpft, die Umherstehenden applaudieren, und zwei neue Personen steigen für ein Duell „in den Ring“ beziehungsweise werfen sich auf die weichen, blauen Matten in dem kleinen, gelb angestrichenen Raum der Kampfsportschule in einem Kreuzberger Hinterhof.
„Playfight“ ist ein intensives Erlebnis, eine Mischung aus Kampf und Spiel. Es geht nicht ums Gewinnen, sondern darum, Spaß zu haben, zu balgen wie Kinder oder Tiere – und darum, seine eigenen Grenzen zu erfahren und zu testen. Nachdem Übungsleiter Ulf Marin Andresen die Regeln erläutert und ein paar Aufwärmübungen gemacht hat, geht es auch schon los:
Ich kämpfe gegen Ufuk, einem 32-jährigen Mann aus München. Er macht seit neun Jahren Playfight und ist in Berlin zu Gast. Wir lachen und versuchen, uns gegenseitig auf die Matte zu drücken, noch vorsichtig, dann immer stärker. Ich merke, es ist OK, er ist ebenfalls kräftig und kann meinen 90 Kilo „Kampfgewicht“ standhalten, ich seinem ebenso.
Es wird nicht im Stehen, sondern im Hocken, Knien oder Liegen gekämpft. Beißen, Haareziehen, Schlagen und dergleichen sind verboten, es kann jederzeit Stopp gerufen werden. Ufuk hat eine gute Technik und mich dadurch bald zu Boden gedrückt. Mit aller Kraft versuche ich, mich zu befreien. „Es geht nicht ums Gewinnen“, hatte Trainer Ulf zuvor erzählt und ich merke, wie Ufuk nachlässt und ich ihn auch mal zu Boden rammen darf.
Druck aufbauen, aber auch wieder nachlassen, gemeinsam, nicht gegeneinander kämpfen. Trotzdem bin ich motiviert, es ist recht ausgeglichen und ich mache mir wenig Sorgen darum, Ufuk zu verletzen, kann also gut einsteigen. Es geht hin und her, dann klopfe ich dreimal auf die Matte – Aufgabe. Ich kann einfach nicht mehr.
Ein super Gefühl. Mir tun nicht nur die Knie weh, sondern auch die Muskeln. Ufuk klatscht ab, wir umarmen uns. Ich merke, dass ich noch zu sehr darauf bedacht bin, zu gewinnen. Vielleicht sollte ich mehr auf mein Gegenüber achten. Mit Fremden kämpfen hatte mich zunächst etwas Überwindung gekostet. Als ich dann gegen Andrea dran bin, wird es lustiger, denn sie kitzelt mich. „Das ist unfair“, rufe ich und muss laut lachen, kitzele sie zurück, wir balgen uns auf dem Boden, rollen hin und her. Erschöpft liege ich erneut auf der Matte, niemand hat gewonnen.
An diesem Samstagabend sind sieben Personen zum Playfight gekommen, fast alle sind zum ersten Mal hier. Eine 28-jährige mit Kampfsporterfahrung erzählt, es freue sie, kämpfen zu können ohne Verletzungen, ohne Testosteron und aggressive Gegner:innen. Auch Josch macht es „tierisch Spaß“. Er ist mit seiner Freundin Barbara gekommen. „Der Versuch, Kontrolle zu erlangen, aber auch wieder abzugeben, das ist sehr spannend“, sagt er, während seine Freundin in der Mitte des Raumes schreit vor Lachen, sie wird gerade von Andrea zu Boden gedrückt und versucht, sich zu befreien. Es sei natürlich auch spannend, dem Partner dabei zuzusehen, wie dieser so agiert, sagt Josch.
Barbara rauft sich in der nächsten Runde mit Angelo, der öfter zu den wöchentlichen Terminen kommt. Er ist Schauspieler und mag das „Body-Acting“, das Spiel mit dem Körper, diesen besser kennenzulernen und im Einklang mit „Gegnern“ austarieren zu können.
„Es geht um Körperkontakt ohne sexuellen Kontext“, erklärt Trainer Ulf. Natürlich könne es, besonders bei Paaren, auch mal kinky werden. Zudem sei „Playfight“ auch gut zum Kennenlernen oder Daten. Echten Streit oder sexuelle Übergriffe habe es bei ihm in der Gruppe bisher nicht gegeben. Bevor man in einen Kampf geht, wird vereinbart, was man möchte. Vielleicht auch leichte Schläge auf die Schulter und die Beine, oder seichte Ohrfeigen?
„Ich merke, es könnte auch schnell hot werden“, sagt Barbara, nun ebenfalls völlig aus der Puste. Andere Körper spüren, andere Kräfte. „Es ist intensiv und intim, physisch und emotional“, ergänzt Ulf. Wichtig sei selbstverständlich immer, sich sicher zu fühlen, nicht bedrängt, herausgefordert ober veralbert. Der Spaß stehe im Mittelpunkt.
Ich mache einen „Blind-Fight“ gegen Angelo, also mit Augenbinden. Das Erlebnis wird dadurch noch intensiver. Die Gruppe achtet darauf, dass wir nicht gegen die Wand knallen. Angelo hat mich schnell auf dem Boden und ich muss alle Kraft aufwenden, um mich zu befreien, was ein befreiendes Gefühl ist, die Kräfte zu aktivieren und zu spüren.
- „playfight xberg“ findet jeden 2. und 4. Samstag im Monat statt, von 20 bis 23 Uhr, in der Capoeira Akademie Berlin, Hasenheide 9, Hinterhof. 15 Euro an der Abendkasse, mit Reservierung per E-Mail 10 Euro. Alle Infos unter playfight-xberg.de
- Fotos: Robert Klages