Kiezgespräch

Veröffentlicht am 19.10.2017 von Nele Jensch

In den USA erheben immer mehr Frauen – viele von ihnen bekannte Schauspielerinnen – Vergewaltigungs- und Belästigungsvorwürfe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein (und nein, um einen Sexskandal handelt es sich dabei nicht, sondern um Straftaten). Auch Berlin hat seinen eigenen Sexismus-Streit: Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) wird angefeindet, seitdem sie dem ehemaligen Botschafter Hans-Joachim Kiderlen in einem Facebook-Post Sexismus vorwarf. Kiderlen hatte Chebli bei einer Konferenz nicht erkannt und sich mit den Worten entschuldigt, dass er keine so junge Frau erwartet habe. Chebli ist übrigens 39, ein Alter, in dem man Männern durchaus zutraut, die Karriereleiter ein ordentliches Stück nach oben geklettert zu sein. FPD-Frontmann Christian Lindner ist beispielsweise ebenfalls 39. „Und dann sind sie auch noch so schön“, schob Kiderlen hinterher. Chebli wird seither auf ihrer Facebook-Seite angefeindet, Rassismus (Cheblis Eltern stammen aus Palästina) und Frauenhass mischen sich dabei in schönster und altbekannter Weise.

Angestoßen von den Vorwürfen gegen Weinstein geht auf Twitter und Facebook der Hashtag #metoo gerade viral, unter dem bereits mehr als eine Millionen Frauen weltweit von sexueller Gewalt und Belästigungen erzählen. Teilweise sind es schreckliche Schilderungen von Vergewaltigungen, die die Opfer häufig bereits im Kindesalter erlebt haben, aber auch das ganz alltägliche Anmachen auf der Straße wird thematisiert. Ziel ist es, deutlich zu machen, wie allgegenwärtig Sexismus und sexuelle Gewalt sind, auch in westlichen, angeblich gleichberechtigten Gesellschaften. Ich würde gerne die Frau treffen, die noch nie in ihrem Leben zumindest verbal bedrängt worden ist, oder der man niemals aufgrund ihres Geschlechtes Fähigkeiten abgesprochen hätte – insofern: #metoo, nicht zuletzt auch in unserem offenen, genderbewegten Bezirk.

Gerade erst letzte Woche erzählte mir eine Freundin von einem Übergriff im U-Bahnhof Schönleinstraße. Zwei Jungs brüllten auf eine eine junge Frau ein, die sie in eine Ecke gedrängt hatten, immer wieder wollten sie wissen: „Warum hast du ihn geschlagen?“ Meine Freundin hatte bereits das Pfefferspray gezückt, als die Täter abzogen. Die verstörte Frau erzählte, einer der Männer habe ihr im Vorbeigehen wie selbstverständlich an die Brust gegriffen, woraufhin sie ihm (wie jeder Mensch mit funktionierenden Instinkten) eine Ohrfeige gegeben habe. Ja, die Täter in diesem Fall waren arabischstämmig. Aber Sexismus ist keineswegs ein kultur- oder religionsbedingtes Phänomen, wie wiederum der Fall Weinstein und die Anfeindungen gegen Chebli zeigen. Er ist schlichtweg Ausdruck eines überholten patriarchalen Systems, an das wir alle – Männer wie Frauen – uns gewöhnt haben, und das wir schnellstens überwinden sollten. Nele Jensch