Kiezgespräch

Veröffentlicht am 17.06.2021 von Corinna von Bodisco

Konstanze Schmitt hat bei der Protestoper „Wem gehört Lauratibor“ Regie geführt. Das Thema Verdrängung, von der die fiktive Geschichte um die Protagonist*innen Laura und Tibor handelt, ist ihr vertraut: ihr Büro hat sie in der „Lause“. Aus dem Protest um die Gewerbehöfe der Lausitzer Straße 10 und das Wohnhaus in der Nummer 11 ging die Initiative „Lause bleibt“ hervor, die gemeinsam mit anderen Initiativen wie „Ratibor14“, dem Kneipenkollektiv Meuterei und den „Die GloReichen“ bei der Oper mitwirken. Sie alle erzählen und singen ihre Geschichte. Ein Gespräch über ein riesiges Projekt:

Das Spektakel vergangenes Wochenende ging etwa vier Stunden, rund 1.500 Zuschauer*innen waren da. Wie war das für Dich? „Es war überwältigend. Niemand von uns hätte erwartet, dass es so gut läuft. Man kann das bis zur Premiere nie genau sagen, aber in diesem Fall nochmal weniger, denn es ist kein klassisches Theater- oder Opernstück, sondern eine Demo, die wir auf die Straße gebracht haben. Es ist auch ein ‚logistisches Monster‘ mit so vielen aktiv Beteiligten aus diversen Bereichen: Profis, Laien, Nachbar*innen, Musiker*innen, Performer*innen. Dann noch Bühnenbildner*innen, Technik, Kostüm und diejenigen, die sich um den Transport der zwei Bühnen kümmerten. Es waren so viele Menschen am Start!“

Wie viele waren denn involviert? „Auf unserer Webseite gibt es eine ständig aktualisierte Liste. Darin sind die Mitwirkenden alphabetisch nach Vornamen geordnet und dahinter steht die Funktion. Diese Ordnung richtet sich nicht nach den klassischen Hierarchien. Zur Anzahl: allein der große Chor zählt um die 50 Sänger*innen, dann gibt es noch den ‚Investorenchor‘, die ‚Meute‘ (das verdrängte Kneipenkollektiv Meuterei, Anm. d. Red.), die klassischen Solist*innen-Partien und die Laien-Partien. Insgesamt kommt man auf 90 Leute. Mit dem Team sind es zusammen weit über 120 Beteiligte – plus Helfer*innen.“

Wie lange habt Ihr geprobt? „Der originäre Anfang war im Herbst 2019, offiziell ging es 2020 los. Letztes Jahr gab es eine Radio-Oper und danach ging es in eine neue Runde, um die Oper komplett live aufzuführen. Dafür haben wir nochmal Kräfte gebündelt und letztlich eine Förderung vom Senat und vom Fonds Darstellende Künste bekommen. Es wurden neue Lieder geschrieben und komponiert, neue Leute kamen hinzu. Ich bin auch vergangenen Sommer dazu gestoßen und hatte den Anknüpfungspunkt, dass ich gemeinsam mit der Sopranistin und Initiatorin der Oper, Marieke Wikesjo, in unserer Hausgemeinschaft „Lause bleibt“ immer mal wieder aktiv war, unter anderem mit der Veranstaltungsreihe „Lause live“.“ 

Wie waren die Proben kurz vor der Uraufführung? „Seit März haben wir eine sehr intensive Arbeitszeit. Die Pandemie hat die Proben-Bedingungen erschwert: Der Chor probte online, die Solist*innen und Szenen draußen – zum Teil bei 5 Grad, bei Wind, bei Regen. Wir konnten die Oper nicht so proben, wie es auf der Straße letztendlich gelaufen ist, sondern immer nur ‚als ob‘. Die Endproben konnten wir zum Glück auf einem großen Gewerbehof machen. Alles in allem haben wir in der letzten Phase wahnsinnig am Limit gearbeitet. Doch die große Energie für dieses Projekt, für das sich so viele Menschen einsetzen, hat uns alle bei der Stange gehalten. Das hat sich jetzt gelohnt.“ 

Das Thema der fiktiven Geschichte sind steigende Mieten und Verdrängung. Da entsteht bei Mieter*innen Not und Angst. Wie habt Ihr das in der Oper dargestellt? „Musik und vor allem die Oper als hochdramatische Kunstform eignet sich recht gut, um große Gefühle von Angst über Wut bis zur Verzweiflung rüberzubringen. ‚Wem gehört Lauratibor?‘ hat seinen Ursprung im Reichenbergerkiez: Das Libretto ist aus den Gesprächen, die die Autorin Tina Müller hier geführt hat, entstanden; die Musik hat der Komponist Anders Ehlin den Sänger*innen auf den Leib geschrieben. “ 

Am Sonntag ist die zweite Aufführung… „Ja, da laufen wir nicht mehr durch die Straßen, sondern stellen uns mit dem Bühnenwagen auf den Mariannenplatz und spielen unsere Oper am Stück. Das ist auch das Format, mit dem wir weiter arbeiten werden. Im August sind wir nach Dänemark ins Odense Teater eingeladen und zum Opernfestival nach Kopenhagen. Wir hoffen, dass die Tour danach weiter geht.“

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