Kiezgespräch

Veröffentlicht am 30.09.2021 von Corinna von Bodisco

Nach 24 Jahren musste das Lakritzfachgeschäft Kadó in der Graefestraße 20 weichen. Das siebenköpfige Team ist am 19. September in das Kadó-Lakritzlager in der Graefestraße 68 umgezogen, denn zum Glück gibt es Lakritz auch online bei kado.de. Doch hinter der Schließung steckt ein tief sitzenderes Problem, das viele Kleingewerbe im Bezirk betrifft: Eigentümerwechsel, Versuch der Mieterhöhung, Gerichtsprozess – und laut Inhaberin Ilse Böge, viel Frust und „Nervenkrieg“. Ihr Mietvertrag lief am 30. September aus. 

Boege
In Ihrem Laden steckt viel Passion, es gibt um die 500 Sorten Lakritz. Wie kann man sich die Arbeit im Lager vorstellen? Kadó ist bekannt für seine Lakritzvielfalt von Island bis Sizilien, zum Beispiel in den Geschmacksrichtungen süßmild, süßherb, salzig, extra salzig oder Lakritz mit Salmiak. Wir bieten circa 24 unterschiedliche Lakritzmischungen an, die in Handarbeit zusammengestellt werden, wie auch alle Online-Bestellungen.

Wie ist es für Sie, die Räume zu verlassen? Es gab einen Moment, da habe ich mich von „meinem“ Lakritzladen verabschiedet: Von den Jahren mit liebgewonnener Kundschaft, den Knirpsen, dem Plausch über die Lakritztheke hinweg, der ausgetobten Kreativität, den Mittagessen vor der Tür mit den Angestellten und unserem gelebten Motto „Leben und Arbeiten“. Aber diese guten Geister nehmen wir mit und werden auch online unseren Charme spielen lassen, hoffe ich doch! Ich finde es schade, dass auch der Vermieter nicht gestaltet, sondern nur auf sofortige Rendite setzt. Diese Mietpreise für eine unrenovierte Immobilie entstehen irgendwo: Finanzkrise, Flucht in die Aktien, Inflationsrate. Geld fräst sich durch Berlin und überläßt den Flurschaden der Allgemeinheit. Das dann Angebot und Nachfrage zu nennen, ärgert mich. Der Einzelhandel hat es schon schwer durch die Onlinekonkurrenz, nun kommt noch die Mietentwicklung dazu. Will man den belebten Kiez mit vielen unterschiedlichen Läden oder nicht? Wenn Spekulation auf Realwirtschaft trifft, ist das einfach eine Umverteilung.

Haben Sie dagegen gekämpft? Ja, schon. Im Juni 2018 war klar, unsere Gewerbeeinheit ist verkauft und es wurde deutlich, dass sich der Kaufpreis plus monatliche Rendite rasch einspielen soll. Im Zeitraum von 2008 bis 2021 ist die Miete um 64 Prozent gestiegen: von 7,36 auf 12,10 Euro pro Quadratmeter. Der neue Vermieter aus Köln erhöht nun um 75 Prozent auf 21,25 Euro pro Quadratmeter. Das kann ich nicht auf Lakritz umlegen. Ein Streit um Fristen endete mit Kündigung samt Räumungsklage vor dem Landgericht. Mein Anwalt und ich verstanden meinen Mietvertrag so, dass ich, im Falle einer Kündigung durch den Vermieter, noch eine Option auf Vertragsverlängerung über weitere drei Jahre ziehen könnte. Die Kündigung kam, der Streit begann und das Gericht entschied gegen uns. Das war echt frustig, vor allem, dass es keine Rolle spielt, ob man sich nützlich macht, ausbildet, Arbeitnehmer hat, Steuern zahlt. Unser Mietvertrag endete also knappe zwei Jahre eher als wir das geplant hatten. 

Was hätte Ihrer Meinung geholfen, was braucht es in Berlin? Eine Regelung, was das Kapital angeht, zum Beispiel eine Bodenreform. Schön wäre auch eine Ansage, wie Berlin Spekulanten von echten Investoren unterscheidet. Ich glaube, viele Vorschläge dazu liegen in Schubladen der jeweiligen Ressorts wie Städte-und Landschaftsplanung oder Soziologie. Warum bringt man das Wissen nicht zusammen? Es wird doch nicht weniger investiert, wenn man fragt: Du hast 100 Häuser, wo zahlst du deine Steuern? Dann komm doch mal auf eine Tasse Tee ins Rathaus, wir wollen dich mal kennenlernen. Das Gegenteil ist bei „Kisch & Co.“ gelaufen, Interessen wurden anonym über Anwälte durchgesetzt. Wem gehört die Stadt? Wie wollen wir leben? Berlin könnte gestalten und tut es nicht.

Waren die Räume sofort weg? Nur drei, vier Besichtigungstermine waren nötig bis Nachmieter gefunden wurden. Ungefilterte Weine aus Frankreich. Ich wünsche den Nachmietern alles Gute. Fünf Geschäfte in der Graefestraße gehören dem Vermieter – das ist keine Marktmacht?

Und suchen Sie neue Räume? Wir haben uns zwei, drei angeschaut, aber alle Vermieter träumen von 20 Euro und mehr. Dafür müssen sie wenig tun. Daher treten wir lieber in die zweite Reihe und machen mit kado.de weiter, zum Glück bei einer vernünftigen Hausverwaltung. 24 Jahre sind eben auch nicht spurlos vergangen mit Verkauf auf Wochenmärkten und der täglichen, neunstündigen Ladenpräsenz.

Waage

Gibt es vergleichbare Lakritzgeschäfte in Berlin? 1997 war das Kadó das erste Lakritzgeschäft in Deutschland. Von hier aus verkauf(t)en wir Lakritz mit Passion der Kundschaft im Laden und den Versandkunden, denn kadó ist seit 1998 mit einem Onlineshop am Start. 

  • Die Firmengeschichte ist amüsant und lesenswert, zu finden unter https://kado.de/de/ueber-kado/wir-ueber-uns. 
  • Übrigens: Kadó Lakritz gibt es auch in einigen ausgewählten Kinos (fsk, in allen Kinos der Yorckgruppe, im Hackesche Hoefekino, Sputnik, Filmkunst 66) sowie im KaDeWe.