Kiezgespräch

Veröffentlicht am 12.05.2022 von Corinna von Bodisco

Kiezblock aus Sicht eines Bauarbeiters aus Ahrensfelde – auf eine Runde partizipatives Rollenspiel. Vergangene Woche habe ich bei einem dreistündigen partizipativen Rollenspiel mitgemacht, zu dem die Initiative Changing Cities etwa zehn Menschen ins Café Lovelite einlud. Das Thema: Kiezblocks. Sie wissen schon, das Bestreben, ganze Kieze für den Durchgangsverkehr zu sperren, Verkehrsberuhigung im Kiez, bessere Radwege.

Auf dem Tisch befindet sich ein Spielfeld in Form eines Stadtplans vom Friedrichshainer Südkiez zwischen Frankfurter Tor und Ostkreuz, umschlossen von Frankfurter Allee, Warschauer Straße, Stadtbahn und Ringbahn. Sprich – die Gegend um das Lovelite. Dieser Kiezblock wurde bereits in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beschlossen – auf den Einwohnerantrag der Initiative „Ostkreuz – Kiez für alle“. 

„Gleich stellen wir uns vor, wer wir wirklich sind, danach werden wir in andere Rollen schlüpfen“, begrüßt Susanne Bosch die Gäste. Die Künstlerin lädt ein, in einem fiktiven Bezirksrat möglichst eine Rolle mit anderer Meinung als der eigenen einzunehmen. Bosch hat das Spiel gemeinsam mit Dr. Gloria Gaviria und Forscher*innen des Instituts für Transformative Nachhaltigkeitsforschung entwickelt. 

„Bauarbeiter aus Ahrensfelde“ steht auf der Karte, die ich mir selbst ausgesucht habe. Ich taufe die Rolle Dietmar und versuche meine Position zu verinnerlichen: Alle paar Monate wechselt mein Arbeitsort in Berlin, täglich muss ich mit dem Auto durch das „Nadelöhr Ostkreuz“ fahren. Arbeitsstart ist 6 Uhr früh bis etwa 17 Uhr. 

In einer zweiten Vorstellungsrunde erklären wir uns gegenseitig unsere Rollen: Da gibt es zum Beispiel eine Restaurantbesitzerin, die sich um die Anlieferung sorgt, einen Angestellten aus der (unterbesetzten) Bezirksverwaltung, einen Radfahrer, der sich für eine radfreundliche, klimaverbesserte Fortbewegung in der Stadt einsetzt, eine Lehrerin mit Schule in Randlage, die statt ÖPNV lieber das Auto nutzt. 

In der ersten Spielrunde höre ich zunächst Einzelinteressen und vertrete auch meine eigenen. Klar, dass ich erst mal keine Lust auf einen Kiezblock habe. Ich bin ohnehin schon Leidtragender der Verkehrspolitik. In meiner Hand halte ich verschiedene Aktionskarten: Joker, Fragen stellen, Ablehnen, um Verständnis bitten, Beteiligen. Der Fahrradfahrer und die Bewohnerin, die nur ein paar Straßen vor ihrer eigenen Haustür – ihren eigenen Kiez – im Blick haben, machen mich aggressiv. 

Vor der zweiten Spielrunde wird eine „Reflexion“ eingeschoben. Ich erkläre, dass ich mich als externe Person fühle, keine*r gehe auf meine Probleme ein, geschweige denn, verstehe meinen anstrengenden Alltag. Wir sprechen darüber, inwieweit wir überhaupt Kompromisse finden wollen oder einfach das weiter machen, was wir gewohnt sind.

Runde II. In Kleingruppen versuchen wir, konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Interessanterweise haben sich Rollen mit ähnlichen Interessen zusammengefunden: Die Verwaltung (Bezirk, Senat u.a.), die Bürgerinitiativen und diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind. In der Diskussion wird deutlich, dass selbst in den Kleingruppen sehr verschiedene Interessen existieren. 

Als Gloria Gaviria anschließend nach den „konkreten Maßnahmen“ fragt, kommt man ins Schwitzen. Hier einige Vorschläge: 

  • Parkraumbewirtschaftung, Parkraumvermittlungsbörse, Anreize, sich ein kleineres Auto anzuschaffen (Verwaltung), 
  • Interessen bündeln („Zusammen sind wir mehr“), Diagonalsperren, Infoveranstaltung (Initiativen)
  • Parkraumbewirtschaftung und Lieferzonen zusammen denken, absenkbare Poller, kostenlose E-Lastenräder und Abstellplätze (Autogruppe)

Fazit I: Für mich als Bauarbeiter gibt es keine konkrete Lösung. Zwar wurde kompromissbereit angeboten, den öffentlichen Nahverkehr für Menschen mit niedrigem Einkommen kostenfrei anzubieten, doch bis die Fahrpläne angepasst sind (regelmäßig sehr frühe Busse/ Bahnen), kann es dauern. Auch ein E-Lastenrad würde ich zwar ausprobieren, denke aber, dass mich das neben der körperlichen Arbeit sehr müde machen würde. Von den Baustellengeräten mal abgesehen (Auto als Lagerraum). 

Fazit II: Ich denke, unsere Spielrunde war kompromissbereiter, als das in der Realität der Fall ist. Eigentlich könnten die „echten Beteiligten“ im Samariterkiez doch mal dieses Spiel spielen, andere Perspektiven einnehmen, sich in andere Rollen einfühlen, verstehen lernen.

  • Was denken Sie, könnte so ein Spiel etwas zu Veränderungen in der Stadt beitragen? Schreiben Sie es mir: Corinna.Bodisco@extern.tagesspiegel.de.
  • Foto: Inge Lechner (Ostkreuz – Kiez für alle) und Dirk Schneidemesser (Changing Cities), Susanne Bosch

 

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