Nachbarschaft
Veröffentlicht am 25.01.2018 von Corinna von Bodisco
Linde Nadiani, 30, Kuratorin, Übersetzerin und Musikerin
Die gebürtige Italienerin studierte Germanistik, Amerikanistik und Literaturwissenschaften in Bologna und am Peter Szondi-Institut der Freien Universität Berlin. Seit 2014 unterstützt sie das Literaturhaus Lettrétage e.V. (Mehringdamm 61) bei den Projekten CROWD, CON_TEXT und WiSU („Wirtschaftliche Stärkung der Urheber*innen in der freien Literaturszene Berlin“).
Wie lange lebst du schon in Berlin und wie begann die Zusammenarbeit mit der Lettrétage? Mittlerweile lebe ich seit siebeneinhalb Jahren in Berlin. Die Zusammenarbeit mit der Lettrétage begann im Dezember 2014: Im Rahmen des internationalen Literaturprojekts CROWD benötigte das Literaturhaus noch Unterstützung für die Organisation einer Literaturkonferenz und einer dreimonatigen Autorenbusreise quer durch Europa – die OMNIBUS Reading Tour. Im Anschluss konnte ich auch an weiteren Projekten mitarbeiten. In der Lettrétage herrscht eine unglaublich kreative und produktive Stimmung, die ich sehr schätze.
Neben anderen Lettrétage-Projekten bist du für WiSU zuständig. Was ist das für ein Projekt und wie kam es zustande? Das WiSU-Projekt der Lettrétage unterstützt literarische Urheber*innen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Berufsleben. Sie treten miteinander in Kontakt, kooperieren und entwickeln gemeinsam neue Ideen. Das Projektangebot umfasst regelmäßige Einzelberatungen, einen jährlich stattfindenden Branchentreff Literatur und die Möglichkeit der Raumnutzung für Redaktionssitzungen, Netzwerktreffen und Workshops. Alle Angebote im Rahmen dieses Projekts sind für die Nutzer kostenfrei. Konkret geht es in den Beratungsgesprächen viel um soziale Absicherung, KSK-Anmeldung, VG-Wort, Kundenakquise, Förderantragsstellung, Arbeitsorganisation und Kooperationen. Das Projekt wurde 2016 von meinem Kollegen und Mitbegründer der Lettrétage, Moritz Malsch, initiiert und läuft erstmal bis 2019.
Wer sind literarische Urheber*innen und warum müssen sie unterstützt werden? In Berlin leben rund 10.000 Literaturveranstalter*innen, Lektor*innen, Übersetzer*innen und Autor*innen – sie alle sind literarische Urheber*innen. Die meisten von ihnen sind freiberuflich tätig und arbeiten zum Großteil unter prekären Bedingungen. Man reibt sich auf, wird schlecht und verspätet bezahlt oder Zusagen werden nicht eingehalten. Gerade für eine künstlerische oder kuratorische Tätigkeit sind das nicht die besten Voraussetzungen.
Die Lettrétage bezeichnet sich als „junges Literaturhaus“: Kann dies als Abgrenzung zu anderen Literaturhäusern wie zum Literarischen Colloquium Berlin oder zum Literaturhaus in der Fasanenstraße verstanden werden? Nun, die beiden genannten Häuser haben mittlerweile junge Leitungen und sind ebenfalls für unkonventionellere Formate wie Performances oder Installationen offen. Das Wort bezieht sich nicht so sehr auf das Alter der Mitwirkenden oder des Publikums. Insofern ist „jung“ nicht unbedingt als Abgrenzung zu verstehen. Für uns war diese Charakterisierung immer wirksam als Selbstverpflichtung zu Offenheit, Augenhöhe, Bodenhaftung und lebendigem Diskurs. Wir erproben zudem neue und unkonventionelle Formen der Produktion und Präsentation von Literatur. Darüber hinaus bietet die Lettrétage der Literaturszene der Stadt einen Raum für deren eigene Veranstaltungen, Ideen und Konzepte.
Ist diese freie Literaturszene in Kreuzberg besonders greifbar und lebendig? Die freie Literaturszene Berlins ist äußerst heterogen und vielsprachig. Die unterschiedlichen Akteur*innen sind gut untereinander vernetzt und es ist, glaube ich, mittlerweile allen bewusst geworden, dass man durch eine offene Zusammenarbeit viel mehr erreichen kann, auch in Bezug auf kulturpolitische Themen. Vor einigen Jahren wurde z. B. das Netzwerk freie Literaturszene Berlin (NFLB e.V.) gegründet, welches sich unter anderem als Interessenvertretung der Berliner Autor*innen, Übersetzer*innen und freien Literaturveranstalter*innen gegenüber der Landespolitik und der Öffentlichkeit versteht. Zahlreiche Lesereihen, Buchläden und Veranstaltungsorte sind in Kreuzberg angesiedelt, das literarische Leben findet jedoch auch in vielen anderen Stadtteilen statt. Ich würde aber nicht sagen, dass die Literaturszene in Kreuzberg greifbarer oder lebendiger als anderswo wäre. Wir freuen uns aber sehr, dass unsere Spielstätte zentral und besonders gut erreichbar am Mehringdamm liegt, denn dadurch bekommen wir oft Besuch!
Die Lettrétage versteht sich als Ankerinstitution der freien Literaturszene Berlin und engagiert sich für eine bessere Förderung der in der Literaturbranche tätigen Freiberufler*innen. Sie können sich hier über Lesungen, Performances und andere Angebote des Literaturhauses informieren.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge per Mail.