Nachbarschaft
Veröffentlicht am 15.02.2018 von Nele Jensch
Obdachlose unterstützen und dabei umweltfreundliche Mobilität fördern – ja, das geht! Elias Dege, 21, und sein Team von „warmgefahren“ bringen mit dem Lastenfahrrad Hilfe zu wohnungslosen Menschen in ganz Berlin.
Ihr bringt Tee, Kaffee und Schlafsäcke zu Wohnungslosen und gebt ihnen Tipps zu Hilfsangeboten – hilft es den Menschen darüber hinaus auch, dass überhaupt jemand Interesse für sie zeigt?
Ich denke, für die Menschen auf der Straße ist das Leben alles andere als einfach – vor allem fühlen sie sich in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert und nicht ausreichend unterstützt. Wir versuchen, Kontakt zu den Menschen aufzubauen und ihnen zuzuhören. Das bedeutet sehr viel für einen Betroffenen, der wenig soziale Kontakte hat und sich von der Gesellschaft nicht beachtet fühlt. Darüber hinaus wollen wir den direkten Austausch nutzen, um herauszufinden, wie das Problem der Obdachlosigkeit in Zukunft gelöst werden kann, bzw. wie wir helfen können.
Bequemer wäre euer Job ja wahrscheinlich mit dem Auto – was ist, neben der Umweltverträglichkeit, der Vorteil am (Lasten-)Fahrrad?
Neben der Umweltverträglichkeit ist es mit dem Fahrrad effizienter in Großstädten wie Berlin von A nach B zu kommen – zudem haben wir mit Lastenrädern keine Zufahrtsbeschränkung und können uns problemlos in Parks und Grünanlagen bewegen. Die Idee ist außerdem, sich den Menschen durch das Fahrrad verbundener zu fühlen um direkten Kontakt aufbauen zu können.
Wie ist die Resonanz auf euer Projekt, bei den Betroffenen und darüber hinaus?
Die Resonanz ist sehr gut, sowohl von Betroffenen als auch von Nicht-Betroffenen, und darüber freuen wir uns besonders. Wir wollen die Menschen zum Mitmachen inspirieren und auf diesen Missstand aufmerksam machen.
Woher kommen die Dinge, die Ihr verteilt, und wie kann man euch unterstützen?
Dank unserer Kooperation mit der Berliner Obdachlosenhilfe e. V. bekommen wir viele Sachspenden aus dem bereits existierendem Netzwerk. Uns kontaktieren aber auch Privatpersonen, die zum Beispiel eine alte Winterjacke übrig haben und diese gerne an uns weitergeben möchten. Unterstützen kann man uns derzeit vor allem auf startnext.com/warmgefahren. Dort sammeln wir Geld, um unser Projekt fortführen zu können und um eine mobile Suppenküche aufzubauen. Unsere derzeitigen Lastenräder sind geliehen. Damit wir sowohl im Sommer als auch im Winter aktiv bleiben können, benötigen wir eigene Lastenräder.
Die Zahl der Obdachlosen in Berlin steigt stetig – woran liegt das?
Viele Faktoren können eine Rolle spielen – gesellschaftliche Gründe wie z. B. rasant steigende Mieten sind ein großes Problem. Menschen, die ihre Wohnung verlieren, haben es extrem schwer, eine neue und vor allem bezahlbare Wohnung zu finden. Aber auch der Jobverlust und zusätzlich private Probleme können ein Weg in die Obdachlosigkeit sein. Das Erschreckende ist, dass Obdachlosigkeit längst kein Phänomen mehr von Armut sein muss. Immer mehr Menschen aus der so genannten Mittelschicht sind betroffen.
Mittlerweile leben auch immer mehr Frauen und Kinder auf der Straße – was lässt sich über ihre Situation sagen? Und ist es für dich besonders belastend, Kinder zu sehen, die kein Zuhause haben?
Die Zahlen hierzu sind gestiegen, das finde ich besonders beängstigend zu hören. Ich bin damit jedoch bis jetzt nicht wirklich konfrontiert worden, da wir wenig Frauen und Kinder treffen. Ich hoffe, dass in diesen Fällen besonders schnelle Hilfe angeboten wird, um Frauen und Kinder vor der Obdachlosigkeit zu bewahren.
Tut die Politik Deiner Meinung nach genug für Wohnungslose?
Ich hoffe, dass die Politik ihren Beitrag zu der Lösung dieses Problems leisten wird. Gleichzeitig finde ich es schwierig, alles immer auf politischer Ebene lösen zu wollen – wir können gemeinsam ganz viel bewegen und ins Rollen bringen. Ich würde sagen, dass neue Ideen und unbürokratische Ansätze erarbeitet werden sollten, um den Menschen zukünftig zu helfen und dafür zu sorgen, dass längerfristig Prävention betrieben wird.
Was macht Ihr, wenn es Frühling wird?
Wir machen weiter! Viele neue Ideen stehen im Raum und wir werden uns weiterhin mit der Thematik auseinandersetzen. Im Endeffekt wollen wir dazu beitragen, dass es den Menschen zukünftig besser geht und sich das Bewusstsein für sowie der Blick auf obdachlose Menschen verändert.
Foto: Anton Corbal
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-n.jensch@tagesspiegel.de