Nachbarschaft

Veröffentlicht am 19.07.2018 von Nele Jensch

Hedwig Dohm, 1831 – 1919, Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin

„Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“: Vor 99 Jahren starb Hedwig Dohm, viele ihrer Aussagen und Forderungen sind bis heute (erschreckend) aktuell. An ihrem Kreuzberger Geburtshaus in der Friedrichstraße 235 erinnert eine Gedenktafel an die Feministin.

Dohm wurde am 20. September 1831 als drittes von 18 Kindern geboren. Im Gegensatz zu ihren Brüdern wurde Dohm und ihren Schwestern nur eine eingeschränkte Schulbildung ermöglicht – möglicherweise der Grundstein zu ihrem späteren Schaffen. „Warum musste ich heimlich, als wär’s ein Verbrechen, lesen? Warum durfte ich nichts lernen?“ beklagte Dohm. 1853 heiratete sie Ernst Dohm, Chefredakteur der satirischen Zeitschrift Kladderadatsch, und bekam fünf Kinder mit ihm: vier Töchter (die alle eine fundierte Schul- und Berufsausbildung erhielten) und einen Sohn (der im Alter von elf Jahren starb). Das Haus der Dohms wurde zum Treffpunkt der Berliner Intellektuellen- und Künstler*innen-Szene; Dohm selbst veröffentlichte ihre erste wissenschaftliche Arbeit 1867 – eine beachtliche Leistung für eine Frau ohne höhere Schulbildung. In der ersten Hälfte der 1870er Jahre folgten dann ihre ersten feministischen Schriften.

Dohm war ihrer Zeit weit voraus: Sie war überzeugte Pazifistin,  forderte die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichstellung der Frau inklusive des Frauenwahlrechts, gleiche Bildung für Mädchen und Jungen sowie die Institutionalisierung von Kinderbetreuung, um Müttern ökonomische Unabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Daneben sezierte sie in Schriften wie „Die Antifeministen“ (1902) ungerührt und voll schwarzen Humors die Werke von Zeitgenossen wie Friedrich Nietzsche oder Georg Groddeck. In den 1890er Jahren veröffentlichte Dohm, nunmehr über 60, unzählige Artikel, Romane und Erzählungen. Mittlerweile war sie nicht mehr allein auf weiter Flur: Die Frauenbewegung gewann an Kraft, viele junge Frauen waren durch Dohms Schriften beeinflusst worden und forderten ihre Rechte ein.

Im Alter lebte Dohm bei ihrer Tochter Elsbeth, bis zum Schluss hellwach und schreibend. Die Ermordung Rosa Luxemburgs, der Ausbruch des ersten Weltkrieges wenig später und der Hurra-Patriotismus ihrer Landsleute schockierten Dohm; auch die Einführung des Frauenwahlrechts 1918, für das sie zeitlebens gekämpft hatte, schien ihr Entsetzen über den Krieg nicht aufwiegen zu können. Wenige Tage vor ihrem Tod am 1. Juni 1919 schrieb Dohm: „Hatte denn das Menschenleben überhaupt einen Sinn? Nein, nein, tausendmal nein. Ein grotesker Plunder ist’s oder ein Wille zum Selbstmord.“

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-n.jensch@tagesspiegel.de