Nachbarschaft
Veröffentlicht am 06.12.2018 von Nele Jensch
Raul Aguayo-Krauthausen ist Autor, Aktivist, Moderator und Kreuzberger. Aufgrund seiner Glasknochenkrankheit sitzt er im Rollstuhl und kämpft für einen unverkrampften Umgang mit Menschen mit Behinderung. Vor zwei Wochen erhielt er für sein Engagement den Silvio-Meier-Preis des Bezirks.
Was hat dich, abgesehen von deiner eigenen Betroffenheit, dazu bewogen, Inklusionsaktivist zu werden? Durch meine eigene Betroffenheit habe ich gesehen, wie viele andere Menschen auch von fehlender Inklusion und mangelnder Barrierefreiheit betroffen sind. Es sind immer dieselben Ausreden, die wir zu hören bekommen. Und das seit Jahrzehnten. Irgendwann habe ich mir dann gesagt: So kann das ja nicht ewig weitergehen. Und fing an, die Argumente, die ich immer hörte, zu hinterfragen.
Warum ist die Inklusion von Schüler*innen mit Behinderung an Regelschulen so wichtig? Weil ALLE Kinder, mit und ohne Behinderung, ein Recht auf ein gemeinsames Zusammenleben und die bestmögliche Bildung haben. Bildung ist dabei nicht nur Auswendiglernen von Inhalten, sondern auch, menschlicher Vielfalt zu begegnen und damit umzugehen zu lernen. Es gibt nämlich auch Kinder mit Behinderung, die nicht-behinderten Kindern etwas beibringen können.
Wie normal ist deiner Ansicht nach der Umgang der Gesellschaft mit Menschen, die nicht „normal“ sind? Das ist eine typische Journalist*innen-Frage. Ich antworte dann immer: Es ist beschämend unnormal. Es passiert mir immer noch sehr häufig, dass ich der erste Mensch mit Behinderung bin, der jemandem begegnet. Dann ist da dieser rosa Elefant im Raum, eine große Unsicherheit. Würden wir aber gemeinsam in einer Schule aufwachsen, wäre das später im Leben alles nicht mehr so krampfig.
Du lebst in Kreuzberg – wie steht es im Bezirk um die Barrierefreiheit, bzw. was ist aus Deiner Sicht verbesserungswürdig? In vielen U-Bahnstationen gibt es ja zum Beispiel nicht mal einen Aufzug. Ja, fehlende Barrierefreiheit im ÖPNV ist ein großes Problem. Allerdings ist da ja ein Ende in Sicht. Bis 2023 sollen angeblich alle Stationen barrierefrei sein. Große Probleme sehe ich noch in normalen Gebäuden: Cafés, Kinos, Bars, Restaurants, Schulen usw. Die befinden sich oft im Altbau und sind per Gesetz immer noch nicht verpflichtet, barrierefrei zu werden. Das ist ein Skandal.
Was ist Dein Lieblingsort im Kiez? Der Kanal.
Foto: Andi Weiland