Nachbarschaft

Veröffentlicht am 13.12.2018 von Corinna von Bodisco

Worte lesen, Worte transformieren, Worte schmecken. Damit befasst sich das neue Projekt „A Poem for Dinner“ des Kollektivs »kaboom«, bestehend aus der Literaturwissenschaftlerin Carolin Schmidt und der Szenografin Margaret Schlenkrich. Ab dem kommenden Freitag bis Anfang März 2019 ist ihre Reihe „A Poem for Dinner“ in vier Kreuzberger Restaurants auf Tour.

Was explodiert denn bei »kaboom«? Natürlich die Literatur. Es steht aber nicht der Effekt einer massiven Explosion, wie man sie aus der Comicsprache kennt, im Mittelpunkt. Wir experimentieren und spielen mit Worten und bewegen uns damit zwischen künstlerischen Disziplinen. Unser Ziel ist es, Texte durch Kunstaktionen und Installationen zum Leben zu erwecken und so einen neuen, sinnlichen Zugang zu Literatur zu schaffen. Schon der kleinste Reiz – ein Geruch, ein Wort – kann wahre Lawinen auslösen.

Welchen Text habt ihr für euer Projekt „A Poem for Dinner“ ausgesucht? Wir arbeiten mit dem Gedicht „This Is Just to Say“ von William Carlos Williams. Das Gedicht ist ideal für das Experiment, es gleicht einer knappen Alltagsnotiz und auch nach mehrmaligem Lesen eröffnen sich immer weitere Bedeutungsebenen. Heinrich Detering schrieb darüber: „Je länger man sich auf seine einfache Botschaft einlässt, desto weitläufiger werden die Zusammenhänge. Und am Ende sieht man eine fast perfekte Ehe vor sich.“ Uns interessiert insbesondere der Moment der Alltagspoesie – damit wollen wir weiterarbeiten. Ein wesentlicher Bestandteil des Alltags ist das Kochen und Essen. Man kommt zusammen, erzählt vom Tag, tauscht sich aus. Essen ist ein Moment des gemeinsamen Erlebens.

Was genau passiert mit dem Gedicht? Im Projekt gilt es herauszufinden, wie man die Poesie auf dem Papier in eine kulinarische Komposition übersetzen und weiterführen kann. Ein Essen kann auch überraschen, erregen oder besänftigen. Also haben wir vier Köchinnen gefragt, ob sie Lust haben, sich von Williams‘ Gedicht inspirieren zu lassen und ein Gericht zu entwerfen, das dann für einen Monat auf der Speisekarte steht. Passend zur jeweiligen Küche wird das Gedicht in vier Sprachen abgedruckt: Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch und Arabisch.

Werden die Gäste das Gedicht ausschließlich essen oder kann es auch gelesen werden? Das Gedicht wird, gemeinsam mit dem Gericht, auf einer separaten Speisekarte zu finden sein. Man kann es also davor, währenddessen oder auch nach dem Essen lesen. Bestenfalls gleichzeitig.

Im Gedicht ist von kalten, süßen Pflaumen die Rede. Ist das eine Vorgabe für die Köchinnen? Wir haben den Köchinnen keinerlei Vorgaben gemacht. Das ist ja gerade das spannende: Jede sieht etwas anderes in den Zeilen. Und wer weiß – vielleicht gibt es auch ein Gericht ganz ohne Pflaumen; schließlich werden sie ja im Gedicht aufgegessen.

Was versprecht ihr euch vom Projekt? Zum einen sind wir natürlich gespannt, wie die Leute auf das Experiment reagieren. Das Food-Art-Konzept ist ein möglicher Zugang zu Literatur. Uns interessiert der Moment, in dem sich der Text aus seiner Schale löst und sichtbar, erfahrbar, greifbar wird. Der Moment kann ein Essen sein, eine Lesung, eine Performance oder eine Installation. Wir können uns gut vorstellen, die Reihe fortzusetzen: „A Poem for Dinner“-Zürich oder „A Poem for Dinner“-Potsdam – who’s next? Erst einmal freuen wir uns aber, mit Berlinerinnen ins Gespräch zu kommen.

Daten:

  • Station #1 bis zum 16.01.2019: Wildeküche, Spreewaldplatz 5. Eröffnungsdinner 14.12., 19 Uhr
  • Station #2 vom 9.01.-3.02.2019: St. Bart, Graefestraße 71
  • Station #3 vom 23.01.-17.02.2019: Schwarze Heidi, Mariannenstraße 50
  • Station #4 und vom 6.02.-3.03.2019: Kreuzberger Himmel, Yorckstraße 89. Finissage am 6.02. um 19 Uhr

Foto: Claudia Katzmarski

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-c.bodisco@tagesspiegel.de