Nachbarschaft

Veröffentlicht am 17.01.2019 von Nele Jensch

Gigi (die nicht mit ihrem Klarnamen genannt werden möchte) arbeitet für das Register Friedrichshain-Kreuzberg. Die Register dokumentieren in allen Bezirken rassistische, antisemitische, LGBTIQ*-feindliche, antiziganistische, rechtsextreme, rechtspopulistische und andere diskriminierende Vorfälle.

2005 entstand das erste Register in Pankow, seit 2016 gibt es sie in allen Bezirken – wie hat sich die Zahl diskriminierender Vorfälle in Berlin seither entwickelt? Es ist zu beobachten, dass die Zahlen jährlich steigen. Das kann damit zu tun haben, dass immer mehr Menschen Meldungen an die Register abgeben, weil diese immer bekannter werden. Es kann aber auch sein, dass sich die Vorfälle wirklich erhöhen. Letzteres war 2015 der Fall, als Rechte – allen voran die NPD – gegen Geflüchtete mobilisierten und es hier zu einer real erhöhten Zahl von Vorfällen an Flüchtlingsheimen oder in deren Umfeld kam. Diese Vorfälle gingen mit dem Schließen einiger Flüchtlingsheime im Folgejahr wieder zurück. Aktuell gibt es folgende Gegenüberstellung der letzten drei Jahre: 2015 wurden 1.820 Vorfälle registriert, im Folgejahr 2.677 und 2017 waren es 2.800.

Gibt es eine bestimmt Gruppierung – LGBT*, Muslime*, Jüd*innen oder andere – die besonders von Diskriminierung und Übergriffen betroffen ist? Zu Beginn der Arbeit haben die Register für die Einordnung von Vorfällen Kategorien in Art und Motiv festgelegt. Als Motiv gab es z. B. Rassismus. Diese Kategorie wurde in der Folgezeit weiter aufgeschlüsselt, um antimuslimischen Rassismus zu erfassen. Antisemitismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit waren von Beginn an einzelne Erfassungskriterien. In den letzten Jahren hat der Antisemitismus zugenommen. Ein Grund für die von uns registrierten steigenden Zahlen ist, dass die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus ihre Arbeit aufgenommen hat, mit der die Berliner Register sehr eng zusammen arbeiten. Durch diese Zusammenarbeit wurden viele Vorfälle sichtbar, die vorher im Verborgenen lagen. Fragt man jüdische Personen, teilen diese in der Regel mit, dass sie das Gefühl haben, der Antisemitismus habe stark zugenommen. Vor allem jüdische Einrichtungen werden mit antisemitischen E-Mails überhäuft, in denen sie beschimpft und bedroht werden.

Xhain gilt bundesweit als linksalternative Hochburg – heißt das, dass Nazis hier keine Chance haben? Anders als in Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Pankow gibt es im Bezirk keine verstetigten rechten Strukturen noch aus DDR-Zeiten. Menschenjagden waren jedoch auch hier viele Jahre an der Tagesordnung. Wir haben uns mit der „Initiative gegen Rechts“ seit 2006 dafür eingesetzt, dass z. B. rechte Läden geschlossen werden, die teilweise Ausgangangspunkte rechter Taten waren – zum Beispiel die Diskothek Jeton, zwei Thor-Steinar-Läden und die Verdrängung von Nazis vom Bierfestival. Organisierte Rechte wird mensch daher nur selten finden. Wenn sie erkannt werden, handeln die Menschen zivilcouragiert und solidarisch. Dabei gibt es auch Unterstützung vom Bezirksamt, was leider nicht in allen Bezirken der Fall ist. Rassismus und Diskriminierung, vor allem aber auch rechte Propaganda, sind aber leider durchaus auch im Bezirk massiv vorhanden. So werden z. B. rund um den Strausberger Platz immer wieder extrem rechte Schmierereien angebracht. Umsteigebahnhöfe wie der Ostbahnhof, das Ostkreuz, die Frankfurter Allee, das Kottbusser Tor oder das Hallesche Tor sind immer wieder Orte von Übergriffen. Oft sind hier auch LGBTIQ* Menschen betroffen. Pöbeleien und Beleidigungen gegen People of color finden viel zu oft statt. Also: Alltagsrassisten oder Rechtsextremisten wohnen und arbeiten auch hier und machen vielen Menschen das Leben zur Hölle.

Registriert ihr mehr Diskriminierungen gegen Muslime*, seitdem die islamophoben Parolen der AfD mehr oder weniger salonfähig geworden sind?Antimuslimischer Rassismus ist ja nicht erst durch die AfD ein Thema geworden. Die NPD versuchte über viele Jahre, antimuslimischen Rassismus in die Gesellschaft zu tragen, was ihr sicher auch oft gelungen ist. Mit dem weitgehenden Rückzug der NPD aus der Öffentlichkeit hat die AfD das Feld jetzt vielleicht besetzt. Die Zahlen für unseren Bezirk sind hier sehr unterschiedlich. Für 2018 erfolgt die Auswertung ja erst noch, 10 Vorfälle sind es aber schon.

Erlebt ihr Anfeindungen von rechts? Es hält sich in Grenzen, gepöbelt wird natürlich hier und da, und ab und zu bekommen wir eine blöde E-Mail oder werden im Netz angefeindet. Es gab auch vor ein paar Jahren einen Angriff auf den Mitarbeiter vom Register Lichtenberg. Mittlerweile befinden sich auch die Berliner Register, wie alle demokratisch arbeitenden Vereine und Institutionen, im Fokus der AfD. Für sie sind auch die Register „linksextreme Steuerverschwender“. Aber genau das ist der Punkt: Sie versuchen uns als Feindbild zu kriminalisieren. Genau das zeigt eben auch, wie wichtig diese Arbeit ist.

Foto: Demo des Registers Friedrichshain und der Initiative gegen Rechts 2009 gegen den Thor-Steinar-Laden in der Petersburger Straße.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-n.jensch@tagesspiegel.de