Nachbarschaft
Veröffentlicht am 24.10.2019 von Corinna von Bodisco
Thomas Gottschalk ist Namensvetter des Fernsehmoderators – macht aber etwas ganz anderes: Seit Ende 2018 ist er Projekt- und Innovationsmanager der vier Bibliotheken im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. In einer davon, der Pablo-Neruda-Bibliothek am Frankfurter Tor, erzählte er mir von Neuerungen wie dem Werkraum, der „Bibliothek der Dinge“ oder dem „Lese-Garten“.
Wieso braucht es einen Innovationsmanager wie dich in den Bibliotheken? Es gibt diesen Job, weil sich die Bibliotheken aktuell im Wandel befinden. Die Angebote ändern sich, die Gebäude werden neu gestaltet und für die Realisierung braucht es Leute mit Kapazität. Ich plane, kommuniziere, begleite die Veranstaltungen und die neuen Angebote der Bibliotheken. Außerdem vernetze ich uns mit Projekt- und Künstlergruppen. Die Bibliothekare haben das vorher immer zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit gemacht, da fällt natürlich viel hinten runter. Ihre guten Ideen konnte ich zum Teil aufgreifen und umsetzten: unseren Lese-Garten zum Beispiel.
Und was können die Besucherinnen im Werkraum der Pablo-Neruda-Bibliothek machen? Auf der einen Seite gibt es die Möglichkeit, VR-Brillen oder Roboter auszuprobieren, aber es kann auch auf Werkbänken gebastelt, geknetet oder gefilzt werden. Das Digitale und das Handwerkliche gehen in diesem Raum Hand in Hand. Außerdem können Interessierte bei uns ihre eigenen Projekte umsetzen: Mal angenommen, du möchtest zweiwöchentlich eine Strickgruppe anbieten, hast aber kein Wohnzimmer. Der Werkraum kann dafür kostenfrei gebucht und genutzt werden. Viele kennen dieses Angebot noch gar nicht, obwohl die innerstädtischen Räume so knapp sind.
Welche innovativen Angebote gibt es noch? Seit einiger Zeit können auch E-Book-Reader, Musikinstrumente, Rhythmuscomputer, Kunstwerke oder Spiele in unserer „Bibliothek der Dinge“ ausgeliehen werden. Abgesehen von der letztlich klassischen Ausleihe verändern sich auch die Angebote vor Ort: Der Musikraum lädt zum Ausprobieren von Musikinstrumenten, der Makerspace bietet VR-Brillen und Roboter und in den Gaming Zones kann mit verschiedenen Konsolen gespielt werden.
Was hat die Bibliothek der Dinge noch zu bieten? Blues-Gitarren, Sound-Machines, Active-Cams, Wikingerschach – das Angebot ist sehr breit. Sonnenschirme wollen wir auch bald einarbeiten, denn es muss ja nicht für jeden Kindergeburtstag im Park alles neu gekauft werden. Teilen und „Sharing“ geht nicht nur über Apps, sondern auch mithilfe der Bibliotheken.
Meinst du damit, dass Ihr als Bibliothek nach draußen geht? Genau. Wir warten nicht, bis die Leute zu uns kommen. Dafür kommt bald das „Biblio-Bike“ – das ist ein E-Bike mit einem Anhänger, der aufgeklappt werden kann. In den Klappen sind Hängematten und der Kubus ist ein Bücherregal. Mit diesem Fahrrad können wir am Wochenende in den Park fahren und hätten dann zum Beispiel eine temporäre Graphic Novel-Station im Görli. Zum „Outreach“ gehört auch, dass ich Kooperationspartner und Initiativen für unsere Projektideen in den Kiezen suche. Das Kollektiv Prinzessinnengärten betreut zum Beispiel unseren „Lese-Garten“ in der Mittelpunktbibliothek.
Wie wird das Gartenangebot angenommen? Gut, aber ich würde mir ein größeres Gartenpflegeteam wünschen. Es gibt mehrere Hochbeete, die gerne gegossen werden. Dafür kann man sich ganz unverbindlich einmal im Monat bereit erklären und ins Gartenbuch eintragen. Bei den zweiwöchentlichen „Gartensprechstunden“ tauschen sich die Leute über Gartenthemen wie Saatgut aus.
Wenn du einen Wunsch frei hättest: Welche Entwicklungen sollte es zukünftig noch in den Bibliotheken geben? Generell arbeiten wir daran, dass sich in den Häusern der Kiez widerspiegelt. Das meint, dass die Räume der Bibliothek ganz selbstverständlich für Projekte und Veranstaltungen genutzt werden. Am Kottbusser Tor funktioniert das mitunter schon sehr gut. Die Regenbogenbuchhandlung von nebenan macht zum Beispiel Lesungen im Haus oder der Kotti-Shop organisierte gerade eine Ausstellung. Solche Vernetzungen wünsche ich mir noch stärker und arbeite daran. – Text: Corinna von Bodisco
- Zu den vier Bezirksbibliotheken zählen die Pablo-Neruda-Bibliothek (Frankfurter Allee 14 A), die Else-Ury-Familienbibliothek (Glogauer Straße 13), die Friedrich-von-Raumer-Bibliothek (Dudenstraße 18-20) und die Mittelpunktbibliothek am Adalbertstraße (Adalbertstraße 2). In Letzterer wurde Ende September die neue „Gaming-Zone“ eröffnet, am 16. November gibt es ein Familienfest mit Schatten- und Puppentheater (berlin.de).
- Wenn Sie gerade ein Gedankenblitz haben, wer hier bald mal vorgestellt gehört, schreiben Sie ihn an mich. Hier meine Mail: leute-c.bodisco@tagesspiegel.de.
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Dieser Text erschien in meinem neuen Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Den kompletten Newsletter gibt es kostenlos und unkompliziert hier beim Tagesspiegel unter leute.tagesspiegel.de.
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Was Sie im neuen Tagesspiegel-Newsletter für Friedrichshain und Kreuzberg finden – hier meine weiteren Themen (eine Auswahl): +++ Breitere Radwege auf der Oberbaumbrücke noch „work-in-progress“ +++ Protest-in-progress: Verkehrsaktivisten bilden „human protected bike lane“ +++ Abbauversuch Protestpodest Oranienstraße 35 +++ Kinderdemo und viele bunte Portraits an der U1/U3 am Kottbusser Tor +++ Wandel der Kiezbibliotheken – Innovationsmanager Thomas Gottschalk im Interview +++ Wem gehört der Boxi? – Ungarische Kneipe „Szimpla“ macht nach zehn Jahren dicht +++ „Trallafitti“ mit Schauspielerin Thelma Buabeng im Südblock +++ Initiative Hermannplatz bezeichnet Hoffest im Karstadt-Innenhof als „Trojanisches Pferd“ +++ Verlosung für E-Bass-Konzert in der Ölberg-Kirche +++ Den kompletten Newsletter gibt es kostenlos und unkompliziert hier beim Tagesspiegel unter leute.tagesspiegel.de.
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Zur Newsletter-Autorin: Corinna von Bodisco ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Der Weg von Kreuzberg in ihr Neuköllner Gemeinschafts-„Biro“ führt sie meist über den grünen Fahrradweg an der Hasenheide. Wünsche, Ideen und Kritik liest sie gern per Mail, bei Twitter oder Instagram.