Nachbarschaft

Veröffentlicht am 28.11.2019 von Corinna von Bodisco

Die Hausgemeinschaft in der Urbanstraße 67 umfasst drei Häuser, davon 33 Wohnungen und acht Gewerbeflächen (Autowerkstatt, Späti, Büros, Ateliers, Tanz- und Yogastudios). Erst hieß es, neue Eigentümerin solle Rocket Internet werden, dann übte der Bezirk im Juli sein Vorkaufsrecht aus. Seit Oktober steht jedoch fest: Das Bezirksamt musste finanzieller Gründe wegen zurückrudern. Die drei Gebäude sollen nun doch an Rocket Internet gehen. Die 59-jährige Ergotherapeutin Marion Gunkel wohnt seit 35 Jahren in der Urbanstraße 67 – und will bleiben.

Das Vorkaufsrecht ist gescheitert? Was bedeutet das für euch? „Nun ist eingetroffen, was wir zu verhindern versuchten. Der Vorkauf wurde zurückgezogen und eine Tochterfirma von Rocket Internet, die GRC Germany 1 GmbH, ist jetzt offiziell Eigentümer der Urbanstraße 67. Wir vermuten, dass in absehbarer Zeit ganze Wohn- und Arbeitsräume zerstört werden und sehen den Erhalt unserer Berliner Mischung massiv in Gefahr.“

Wann und wie habt ihr davon erfahren, dass es mit dem Vorkauf doch nicht klappt? „Wir waren mit dem Baustadtrat im stetigen Kontakt und erfuhren auf einer der Besprechungen, dass der Vorkauf möglicherweise platzt. Trotz des großen Einsatzes seitens Florian Schmidts und unserer Hausgemeinschaft konnten die eingeplanten Zuschüsse des Landes, auf die wir bis zuletzt gehofft hatten, nicht bereitgestellt werden. Die Begründung: bürokratische Hürden und fehlende Strukturen seitens des Senats, der nicht auf die Förderung von Häusern mit einer Mischung aus Wohnen und Gewerbe vorbereitet ist.“

Baustadtrat Florian Schmidt verweist auf die Abwendungsvereinbarung, die Rocket Internet unterschreiben muss. Die Mieterschaft sei dadurch vor Mieterhöhungen geschützt. Was denkt ihr dazu? „Trotz der Aussage von Rocket, sich der sozialen Verantwortung bewusst zu sein, waren sie nicht bereit, die übliche, verschärfte Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben. Im Gegenteil: In der von ihnen eingereichten, aufgeweichten Abwendungsvereinbarung, die für die Vorderhäuser gilt, haben sie unseres Wissens nach die Strafzahlungen bei Verstößen von einer Million Euro auf 100.000 Euro gesenkt. Die Laufzeit des Vertrags wurde von den bei Abwendungsvereinbarungen üblichen 20 Jahren auf 10 Jahre reduziert.“

Und wie sieht es mit dem Gewerbehaus aus? „Mit den Wohnmietenden der Fabrik möchte Rocket wohl Einigungen treffen, damit diese ihre Wohnungen aufgeben. Die Mietverträge aller Gewerbetreibenden der Fabrik laufen, im Gegensatz zu den normalen Wohnmietverträgen der Vorderhäuser, zeitnah aus. Keiner davon soll verlängert werden. Diese Regelungen und Aussichten sind für uns unzumutbar und haben nichts mit einem realen Milieuschutz zu tun. Die aufgeweichte Abwendungsvereinbarung schützt die Wohnmieter auf dem Papier. Nur die Zukunft kann zeigen, inwieweit dieser Schutz von Rocket umgesetzt wird.“

Von Mai bis Juli habt ihr für eure drei Häuser gekämpft – mit Demos, Hoffesten, Videos und Social Media. Geht das jetzt von vorne los? „Es geht nicht nur von vorne los – es ist der Anfang einer Bewegung! Mittlerweile haben wir 400 Follower, das Netzwerk breitet sich aus. Wir sind das erste Haus, das Rocket gekauft hat. Was hier passiert, wird in Zukunft kein Präzedenzfall bleiben. Wir werden sehr genau hinschauen, wie sich Rocket Internet jetzt auf dem Immobilienmarkt verhalten wird.“

„Rambasamwa“. Die Hausgemeinschaft will am 28. November ab 17 Uhr vor dem Firmengebäude in der Charlottenstraße 4 eine Kundgebung abhalten: Mit „Rambasamwa“ ist der Termin übertitelt, eine Wortneuschöpfung, die auf die Rocket-Gründer Samwer zurückgeht. Mehr Infos auf dem Twitter-Account der Hausgemeinschaft @u67bleibt.

Warum der Vorkauf im Falle Urbanstraße 67 zurückgezogen werden musste? Die Mietergenossenschaft konnte nicht für den Sanierungsaufwand im Keller des Firmengebäudes aufkommen, spezifizierte Florian Schmidt (Grüne) in der gestrigen Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

Wenn Sie gerade einen Gedankenblitz haben, wer hier bald mal vorgestellt gehört, schreiben Sie ihn an mich. Hier meine Mail: leute-c.bodisco@tagesspiegel.de.

– Text: Corinna von Bodisco

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