Nachbarschaft
Veröffentlicht am 10.12.2020 von Nele Jensch
Im August 2020 gründete Birgit Scheffler (rechts im Bild) gemeinsam mit Sahra Ratgeber das Bestattungsinstitut „Das Fährhaus“ in der Dieffenbachstraße. Hier erzählt sie von der Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft, den Herausforderungen durch die Coronakrise und warum sie sich für ihr eigenes Begräbnis wünscht, dass ihre Lieben mit viel Rotwein auf das Leben anstoßen.
Die Bestattungsbranche hatte lange Zeit ein miefiges Image, man dachte an griesgrämige, ausschließlich männliche Totengräber, die niemals lächeln. Das hat sich in den letzten Jahren ziemlich geändert, oder? Ich glaube, dass das schlechte Image der Branche lange Zeit ein Spiegelbild von unserem gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Tod und Sterben war. Über den Tod und alles, was danach kommt, wollte niemand sprechen, obwohl es jeden betrifft. So weit – so absurd. Seit Kurzem verändert sich da aber etwas: Es gibt mehr Transparenz, mehr Empathie und weniger Konventionen. Viele Menschen erkennen, dass es ihnen gut tut, selbstbestimmt durch diese Zeit des Abschiednehmens zu gehen – aber es ist auch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Was hat Sie dazu bewogen, Bestatterin zu werden? Ich war 20 Jahre im Bereich Vertrieb und Marketing in der Medienbranche unterwegs. Aber ich habe mich immer sehr für die Einschnitte, die Krisen im Leben interessiert und dafür, was sie mit uns machen. Dazu kommt, dass ich beim Tod meiner eigenen Mutter vor 15 Jahren erlebt habe, wie passiv man selber eigentlich durch den ganzen Prozess der ersten Wochen durchgeschleust wird. Das hatte alles nichts mit mir zu tun, und leider auch nicht viel mit meiner Mutter. Heute weiß ich, dass ein Abschied viel persönlicher und individueller gestaltet werden kann. Und ich sehe täglich bei meiner Arbeit, wie gut das den Trauernden tut – das empfinde ich als sehr erfüllend. Das war schon ein ganz schön krasser Wechsel zur Bestatterin – ich habe ihn keinen einzigen Tag bereut.
Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag durch die Corona-Pandemie verändert? Wenn jemand an oder mit Corona verstorben ist, muss ich natürlich die Zugehörigen (Familie und Freunde), uns selber und alle, die mit dem Verstorbenen zu tun haben, vor einer möglichen Ansteckung schützen. Dadurch ist eine Aufbahrung am offenen Sarg zum Beispiel schwierig geworden. Noch mehr treffen uns allerdings die Kontaktbeschränkungen, die ja für jeden gelten, auch, wenn die Todesursache ein Herzinfarkt oder eine Krebserkrankung war. Die Besuchsmöglichkeiten in Krankenhäusern oder Pflegeheimen sind stark eingeschränkt und schlussendlich dürfen an der Beisetzung manchmal nur zehn Personen teilnehmen. Wenn die sich dann am Grab noch nicht mal in den Arm nehmen können, ist das einfach schrecklich.
Sie bieten „individuelle Bestattungen“ an – was ist darunter zu verstehen? Ich glaube, das Wichtigste ist erstmal Zeit. Zeit um herauszufinden, wie ich mich wirklich verabschieden will. Zeit um allen – auch widersprüchlichen – Gefühlen Raum zu geben. Und dann erklären wir genau, was wir als Bestatterinnen wann tun und die Zugehörigen können bei jedem Schritt dabei sein, wenn sie das wollen. Den Verstorbenen nochmal sehen, anfassen und streicheln ist da oft ein Schlüsselmoment, weil wir hier begreifen, dass wir die Hülle loslassen müssen, aber alles, was den Menschen für uns ausgemacht hat, weiter in uns tragen werden. Manche wollen viel selber machen, den Sarg selber bauen oder bemalen, die Feier selber gestalten oder einfach viel Schokolade ins Grab nachwerfen, weil die Mama sie so liebte. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich persönlich zu verabschieden.
Der Tod ist in der westlichen Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Erschwert das Ihre Arbeit? Abgesehen davon, dass wir freier arbeiten könnten, wenn das nicht so wäre, ist es vor allem schlimm für die Zugehörigen. Trauernde haben keine Lobby und das Thema ist total stigmatisiert – obwohl fast jeder von uns mindestens einmal im Leben zu dieser Gruppe gehört! Das fängt schon ganz früh an: Wenn in meiner Familie, in der Schule nicht darüber gesprochen wurde, dass wir alle mal sterben werden und wie wir uns verabschieden wollen, wenn Kinder zu Beerdigungen nicht mitgenommen werden – dann legt sich dieser schwere Schleier über das Thema und ich gucke lieber schnell weg. Natürlich ist es dramatisch und zutiefst verstörend, wenn jemand stirbt. Umso wichtiger ist es, dass die Trauer gesehen und akzeptiert wird – in all ihrer Buntheit. Und dass nichts unterdrückt oder in nicht passende Formen gedrückt wird.
Sieht man der eigenen Endlichkeit gelassener entgegen, wenn man sich tagtäglich mit dem Tod auseinandersetzt? Grundsätzlich wünsche ich mir, wie die meisten Menschen, ohne große Schmerzen relativ alt zu werden. Wenn es dann aber soweit ist, wissen meine Lieben auf jeden Fall, was zu tun ist: Dass es eine Erdbestattung sein soll, wo ich beerdigt werden möchte, welche Musik laufen soll und dass es viel von meinem Lieblingsrotwein geben soll! Ich würde es schön finden, wenn neben aller Traurigkeit das Gefühl der Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit überwiegen würde. Bis jetzt hatte ich ein schönes Leben, bewegt und voller Liebe – ich finde, das wäre ein Grund zu feiern! Dieser Beruf hat mich definitiv glücklicher und dankbarer gemacht.
Haben Sie auch Kund*innen, die bereits zu ihren eigenen Lebzeiten ihre Beisetzung organisieren? Na klar! Und eigentlich sollte das jeder tun: es tut einem selber gut. Es fühlt sich an wie ein aufgeräumter Schreibtisch und erdet einen sehr. Und wenn es soweit ist hilft es den Zugehörigen extrem. In der Trauer ist es ein sehr tröstendes Gefühl dem Verstorbenen diese letzten Wünsche erfüllen zu können. Reden Sie in der Familie und mit Freunden darüber. Wenn man sich dem Thema öffnet, können großartige, tiefe Gespräche entstehen. Text: Nele Jensch
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